Völlig schamfrei, losgelöst

Römer 1, 16 – 17

16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. 17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

Es ist ein steiler Satz: ich schäme mich des Evangeliums nicht. Dahinter steht ja Erfahrung von Widerspruch, die genau das versucht hat – ihn lächerlich zu machen, mundtot, ihn zu beschämen. Körnerpicker haben sie ihn in Athen genannt, Schwätzer. Traumtänzer. Und andere haben ihn attackiert: Irrlehrer, Verführer, Sektierer. Es wäre kein Wunder, wenn einer nach solchen Erfahrungen verstummt und in Deckung geht. Allenfalls noch im kleinen Kreis sagt, was er denkt und glaubt. Paulus aber kann nicht schweigen. Er zieht sich nicht ins Schneckenhaus des Bejaht-Seins im eigenen Umfeld zurück. Er sucht den Kontakt, auch zu denen, die ihm noch fremd sind.

            Paulus weiß, nicht nur aus seiner Erfahrung in Athen, dass das Evangelium, wie er es weiterträgt, für Spinnerei gehalten wird. Es widerspricht in allem der Denkweise der Welt. Es widerspricht der Logik, dass Leistung sich lohnen muss und belohnt wird. Dass jeder seines Glückes Schmied zu sein hat. Dem Glauben an Erfolg als Lebenszweck und Lebensziel. An die Aufgabe, sich den Himmel zu verdienen – mit guten Werken, frommen Taten. Paulus weiß: Mein Evangelium mach einen Strich durch alle Lebensbilanzen, die wir vorweisen, auf Erden und auch im Himmel. Da gilt eine andere Ordnung, die der geschenkten Gnade. Die Ordnung der leeren Hände, die zum Empfangen geöffnet sind. Es gilt die Ordnung des Erbarmens Gottes, der sich über alle gütig erweist, die sich ihm anvertrauen, mag ihr Leben, menschlich betrachtet, noch so defizitär sein.  

            Es ist eine stillschweigende Voraussetzung: Die Leser und Leserinnen in Rom werden wissen, was „das Evangelium“ ist.  Es ist keine Allerweltswort, sondern inhaltlich präzise gefüllt. Das Evangelium hat darin seinen Anfang – nicht, dass wir uns nicht schämen, sondern dass Gott sich nicht schämt. Denn Gott wäre ja der, der sich mit Fug und Recht unser schämen könnte. Gott hätte ja allen Grund, sich von uns abzuwenden. Evangelium: Die Gottlosen sind Gott recht, weil er sie sich recht sein lässt. Die Sünder sind von Gott geliebt – so sehr, dass er alles gibt, um sie für sich zu gewinnen, damit ihm auch nicht einer/eine verloren geht. Die eigene Herkunft ist diesem unbedingten Willen Gottes gegenüber zweitrangig. Ob Grieche oder Jude, ob Heide oder gottgläubig – es kommt auf den Heilswillen Gottes an. Er macht gerechte Leute, er lässt sich Sünder recht sein.  Auf der Seite von uns Menschen bleibt nur: Das lasse ich mir gefallen!

            Das ist kein Zeichen von Schwäche. Sondern in diesem Evangelium zeigt sich Kraft, Gottes Kraft.  Eine Kraft, die herausreißt aus einer Gefangenschaft, aus der es kein Entrinnen gibt, aus einem Ersticken an sich selbst und in sich selbst. Das ist das Gefängnis, dem Paulus sich entronnen weiß: Gefangen in sich selbst, verkrümmt in sich selbst, ausgeliefert an sich selbst, die eigenen Ängste, die eigene Unzulänglichkeit, das eigene Verlorensein.

Eine alte, längst vergessen geglaubte Erinnerung: Mich beschimpfte ein Schüler: Pfaffensack, Kommunistenschwein. Ich war beleidigt. So darf doch keiner mit mir reden Auch wenn er wohl nur nachplappert, was er zuhause gehört hat. Heute fällt mir mein damaliger Anspruch auf, respektiert zu sein, nicht als Himmelskomiker abgestempelt zu werden. Manchmal holt mich die Frage ein: Habe ich an den richtigen Stellen den Mund aufgemacht? Habe ich mich nicht gescheut, die Hauptsache des Glaubens, die Hauptfigur des christlichen Glaubens, Jesus zu nennen, wenn es darum ging, was die Welt von den Christinnen und Christen und den Kirchen hat? Oder habe ich mich dahinter versteckt, teil zu haben an den klugen Analysen, die mehr Menschlichkeit einfordern, die zum Frieden mahnen, zur Gerechtigkeit, zu einem sorgsamen Umgang mit den Ressourcen der Welt? Das ist ja alles nicht verkehrt. Aber die Hauptsache muss doch die Hauptsache bleiben – und von mir her betrachtet ist die Hauptsache, dass ich mich zu Christus stelle, an ihn halte, weil er sich ja zu mir gestellt hat und mich hält.

Davon lebt mein Glaube, dass Du, unser Gott, Dich meiner nicht schämst. Dass Du Dich mir und uns zugewendet hast. Dass du uns hineinstellst in Deine Gerechtigkeit, die allen Schaden unseres Lebens heilt. Dafür danke ich dir, dass ich zu diesem Glauben gefunden habe, auch wenn ich ihn nie gesucht hatte. Du hast mich gefunden und hast mich auf dem Weg des Lebens nie mehr losgelassen. Es ist Deine Treue, die mich hält, die mich festgemacht hat im Evangelium. In dieser Treue will ich bleiben. Amen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert