Jesaja 35, 1 – 10
1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. 2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres Gottes.
Die Wüste lebt auf. Ein unübersehbares Meer von Schönheit entfaltet sich vor den Augen des Jesaja. Nicht mehr karg, nicht mehr nur Einöde und Steppe, nicht mehr verbrannte Erde. Blütenpracht, so weit das Auge reicht. In der Herrlichkeit, die so vor Augen ist, spiegelt sich die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unseres Gottes. Damit ist für mich angedeutet: die das alles sehen, sind Glieder des Volkes Gottes. Ihnen gehen die Augen auf.
Freuet euch der schönen Erde, denn sie ist wohl wert der Freud.
O was hat für Herrlichkeiten unser Gott da ausgestreut.
Und doch ist sie seiner Füße reich geschmückter Schemel nur,
ist nur eine schön begabte, wunderreiche Kreatur.
Wenn am Schemel seiner Füße und am Thron schon solcher Schein,
o was muss an seinem Herzen erst für Glanz und Wonne sein.
K.J.P. Spitta 1827, EG 510
Das ist mehr als nur Staunen über die Schönheit der Natur. Es ist das Sehen der Natur in ihrer Schönheit als Schöpfung, die durchsichtig auf den hin ist, der sie ins Leben gerufen hat und der in ihr seinen Willen zeigt, das Leben neu zur Entfaltung kommen zu lassen. Diese Art zu sehen versteht sich nicht von selbst.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.
Neben diese Bilder von der aufblühenden Schöpfung treten sofort die anderen, die auf Menschen ausgerichtet sind. Mut-Mach-Bilder in Mut-Mach-Worten. In der anderen Verdeutschung:
Erschlaffte Hände stärket, festiget wankende Knie,
sprecht zu den Herzverscheuchten:
Seid stark. Fürchtet euch nimmer,
da: euer Gott,
Ahndung kommt
Das von Gott Gereifte
Er selber kommt und befreit euch. (M. Buber /F. Rosenzweig, aaO. S. 110)
Nach dem langen und so mühsamen Weg ist jetzt Aufatmen angesagt. Es gehört zur Nüchternheit prophetische Worte, dass sie die Erfahrung der Erschöpfung nicht überspringen, dass sie die um sich greifende Müdigkeit und Resignation nicht übertünchen. So geht es zu auf den Wegen des Volkes Gottes, auf den Wegen des Lebens. Genau darum: Die den Mut fast haben fahren lassen, die sollen Rückenwind erhalten. Die keine Kraft mehr haben, sollen fest stehen können. Warum: Weil sie sehen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Die Zeit der Gottesfinsternis ist vorbei. Die Zeit, in der Gott sich verborgen hat, verstellt im fremden Werk des Gerichts, geht zu Ende, ist zu Ende.
Jetzt wird das harte Wort aus der Berufungsvison des Jesaja aufgehoben: „Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“ (6,10) Juda und Jerusalem werden nach dem Weg durch das Gericht wieder zugänglich für Gott und sein Wort.Sie lernen neu zu hören und zu sehen, den Weg Gottes zu gehen und Gott zu preisen. Alles, was sie zuvor verweigert haben aus einem verdrehten und verstockten Herzen, das wird jetzt wieder ihres Herzens Trost und Freude.
Der Sand blüht auf im Regen, lebendig wird die die Wüste
und alles wird verwandelt, weil Gott die Erde grüßte.
Der Blinden Augen werden aufgetan, Taube hören und der Lahme springt.
Der Stumme stimmt ein Lied mit an, denn die Welt lebt auf und singt.
Stärkt eure müden Knie und klatscht in eure Hände
die Zeit der Klagelieder ist Gott sei Dank zu Ende.
Der Blinden Augen…
Sie werden jubelnd kommen, die Gott der Herr befreite
und Freude über Freude geht nun an ihrer Seite….
Der Blinden Augen… J. Jourdan
Es ist kein Wunder, sondern nur allzu verständlich, dass Worte aus diesem Abschnitt wieder aufgegriffen werden, als es darum geht, eine müde, verunsicherte, auch schwer bedrängte und verängstigte Gemeinde zu stärken, zum Durchhalten des Glaubens zu ermutigen: „Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.“ (Hebräer 12, 12-13)
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
Die Wüste verliert ihren Schrecken. Sie ist nicht mehr der Ort, wo das Leben verdorrt. Sie wird zur wasserreichen Gegend. Sie ist auch nicht mehr Wohnort der Schakale, die für so viele Schrecken stehen, die der Weg durch die Wüste mit sich bringt. Die Wüste wird zum Ort neuer Fruchtbarkeit, neuen Lebens.
8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Jetzt kommt in den Blick, worauf der ganze Abschnitt zuläuft: Da ist eine Bahn, ein heiliger Weg durch die Wüste. Kein Zweifel: das ist der Weg, auf dem die Rückkehr aus dem Exil stattfindet. Diese Worte hier sind wie ein Vorgriff auf die Worte, die im 40. Kapitel des Jesaja-Buches folgen werden: „In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.“ (40, 3 – 5)
Es ist ein Weg unter der Obhut Gottes. Darum ist er ungefährdet. Die üblichen Gefahren, Löwen, Raubtiere, wohl auch Räuber werden ferngehalten. Eher ein Pilgerzug, eine Prozession als die mühsame Rückwanderung von Leuten, denen die alte Heimat fremd geworden ist. Die da zurückkehren, sind keine Elite, aber sie sind keine Unreinen und keine Toren. Sie sind gereinigt, geläutert durch das Gericht Gottes. Verständig geworden. Sie verrennen sich nicht mehr auf den eigenen Wegen und verachten nicht mehr sein Wort – das ist ja das, was unrein und töricht macht: Die Wege Gottes zu verweigern und die Wegweisung Gottes gering zu achten.
Auf diesen Weg kehren die Erlösten des HERRN zurück. Der heilige Rest. Nur „noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“ (6, 13) So hatte Gott es angesagt. Dieser Stumpf hat Samen getragen im Exil – und die kehren nun zurück. Zum Zion.
Zum Weiterdenken
Ein Rückweg aus dem Exil als Bild für neueröffnetes Leben. Das ist in der Geschichte Israels verständlich. Aber wie ist das bei uns? Wir sind nicht im Exil gewesen. Wir sind, viele unter uns auch keine Heimatvertriebenen. Darum gibt es auch das so zähe Festhalten an dem, wie es immer schon war. Wer aus dem Exil zurückkehrt, macht sich auf den Weg in eine neue Zukunft, die er noch nicht kennt. Wer aber nie weg war, was soll der von der Zukunft anderes erwarten und erhoffen als weiter so?
Vielleicht sind unsere Erwartungen an die Zukunft so klein, weil wir uns nie im Exil geglaubt haben? Weil wir es nie wahrhaben wollten: Da, wo wir jetzt sind, ist noch nicht unser Zuhause. „Wir leben im Exil. Was wir waren und bleiben wollten und vielleicht auch zu werden bestimmt waren, verlieren wir. Dafür finden wir was anderes. Selbst wenn wir denken, wir würden finden, was wir gesucht haben, ist es in Wahrheit etwas anderes.“ (B. Schlink, Das Wochenende) Es ist ein langer Lernweg, solche Sätze nicht nur schön zu finden, sondern sie zu verinnerlichen: „Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ (Epheser 2,18 -19) Für uns, jede und jeden ist ein Platz reserviert, den keiner uns wegnehmen darf.
Mit dem Unterwegs-Bleiben ist das so eine Sache. Wer so sicherheitsbedürftig ist wie ich, tut sich nicht leicht mit dem Aufbruch. Selbst mit dem Aufbruch, der das Heimkommen verspricht. Damit es ein bisschen leicht wird, müssen wir wohl lernen, schöne Bilder vom Ziel zu malen: Eine offene Tür. Eine reich gedeckte Tafel. Einen, der uns mit weit ausgebreiteten Armen erwartet. Vielleicht fehlen uns Christen heute diese starken Bilder, die uns anziehen könnten, weg von dem vorläufigen Besitz in der Zeit und auf Zeit.
Darauf bin ich angewiesen, sind wir alle angewiesen: dass Du nicht aufhörst, in uns Glauben zu wecken, Vertrauen zu stärken, festzuhalten an mir, an uns, auf dem Weg durch die Zeit. Du musst uns immer neu helfen, dass wir den Weg finden, den Du uns bereitet hast, dass wir uns auf den Heimweg machen, auf dem Du uns begleitest, still und unerkannt, dass wir nach Hause kommen. Dorthin, wo Du uns erwartest, Christus, mit weit ausgebreiteten Armen. Amen