Sein wollen wie man ist

Jesaja 8, 1 – 15

1 Und der HERR sprach zu mir: Nimm dir eine große Tafel und schreib darauf mit deutlicher Schrift: Raubebald-Eilebeute!

            Was nun folgt, steht unter der Überschrift: Und der HERR sprach zu mir. Es ist ein Bericht, den Jesaja gibt. Ob er alles verstanden hat, was ihm Gott abverlangt hat, steht nicht zur Debatte. Er gehorcht. Er fertigt zunächst ein Plakat an, groß, gut lesbar, mit nur einem Wort darauf. Raubebald-Eilebeute! 

            Es mag nebensächlich erscheinen, ist aber doch wohl wichtig: Diese Tafel hält etwas fest, auch für die Nachwelt. Propheten reden in die aktuelle Situation hinein und doch soll auch bleiben, was sie sagen.

2 Und ich nahm mir zwei treue Zeugen, den Priester Uria und Secharja, den Sohn Jeberechjas. 3 Und ich ging zu der Prophetin; die ward schwanger und gebar einen Sohn. Und der HERR sprach zu mir: Nenne ihn Raubebald-Eilebeute! 4 Denn ehe der Knabe rufen kann: Lieber Vater! Liebe Mutter!, soll die Macht von Damaskus und die Beute aus Samaria weggenommen werden durch den König von Assyrien.

               Jesaja gehorcht – und sichert sich Zeugen. Zuverlässig und treu. Zwei, damit seine Botschaft gerichtsfest ist. „Es soll kein einzelner Zeuge gegen jemand auftreten wegen irgendeiner Missetat oder Sünde, was für eine Sünde es auch sei, die man tun kann, sondern durch zweier oder dreier Zeugen Mund soll eine Sache gültig sein.“ (5. Mose 19,15) Der Prophet, der den Gehorsam gegen das Gebot Gottes bei König und Volk sucht, zeigt sich so als einer, der selbst gehorsam ist gegenüber dem Gebot.

            Es folgt, so scheint es, Familiengeschichte. Wobei man es sich wohl nicht so vorstellen darf: Jetzt wird Jesaja aktiv und zeugt, gewissermaßen auf Anweisung, einen Sohn. Es braucht die zeitliche Nähe, damit Tafel und Namensgebung sich gegenseitig auslegen.    

            Auffällig ist die Bezeichnung der Frau des Jesaja als Prophetin. Das ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die „Frau Pfarrer“ oder „Frau Geheimrat“, die einfach aus Höflichkeit den Titel des Mannes beigelegt bekommt. Sie ist selbst Prophetin. Daraus kann man schlussfolgern – und mir ist das ein wichtiger Hinweis: Bis heute werden viele geistliche Eindrücke und Erkenntnisse im Gespräch, auch unter Eheleuten, weiter vertieft und manchmal erst wirklich gewonnen.

            Das Kind dieser Eltern aber mit seinem geradezu „absurden“ Namen wird, noch bevor es selbst anfangsweise sprechen kann, durch seinen Namen ein Zeuge für die Wahrheit seines Vaters. Wenn man so will: Jesajas Wort wird im Sohn anschaulich. So sicher ist sich Jesaja seiner Botschaft, dass er sie seinem Sohn als Namen zumutet! Dieser Sohn teilt darin das Schicksal der Kinder des Hosea (Hosea 1,4; 1,6; 1,8). Auch sie sind mit ihren Namen Träger prophetischer Botschaft.

            Darüber, was das mit Kindern „macht“, dass sie nicht nur einen Namen erhalten, sondern durch ihren Namen zu Botschaften werden, wird kein Wort verloren. Heute aber sollte man darüber schon einen Augenblick nachdenken, was ein Name einem Kind auch zumutet.    

5 Und der HERR redete weiter mit mir und sprach: 6 Weil dies Volk verachtet die Wasser von Siloah, die still dahinfließen, und in Angst zerfließt vor Rezin und dem Sohn Remaljas, 7 siehe, so wird der Herr über sie kommen lassen die starken und vielen Wasser des Stromes, nämlich den König von Assyrien und alle seine Macht, dass sie über alle ihre Ränder fluten und über alle ihre Ufer gehen. 8 Und sie werden einbrechen in Juda und wegschwemmen und überfluten, bis sie an den Hals reichen. Und sie werden ihre Flügel ausbreiten, dass sie dein Land, o Immanuel, füllen, so weit es ist.

            War es bislang meistens Ahas, an den die Worte Jesajas gerichtet wurden, so geht es jetzt um dieses Volk. Das Volk in Juda, in Jerusalem hat kein Zutrauen zu den Wassern von Siloah, die still dahinfließen. Das ist ein Bild für die Aufgeregtheit, die sich angesichts der Heermacht aus dem Norden breit gemacht hat. `Wir werden überflutet‘. mag die Klage heißen. Und vergessen ist, was die Frömmigkeit zu sagen wusste.

            Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein,

            da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.                    Psalm 46, 5

            Weil das so ist, wird das Volk erfahren, wovor es sich fürchtet, erfahren, dass das, wovon man sich Hilfe versprochen hat, sich als ein Strom entpuppen wird, der alles mitreißt, wegreißt. Das ist Anspielung auf die Bündnis-Politik des Ahas: „Aber Ahas sandte Boten zu Tiglat-Pileser, dem König von Assyrien, und ließ ihm sagen: Ich bin dein Knecht und dein Sohn. Komm herauf und hilf mir aus der Hand des Königs von Aram und des Königs von Israel, die sich gegen mich aufgemacht haben!“ (2. Könige 16,7)

            Ahas sucht eine Hilfe in fremdem Gewässer, weil er dem einheimischen Wasser nicht traut. Bei fremden Größen, weil er der Größe Gottes nicht traut. Und wird überspült werden von denen, die er sich zur Hilfe zunutze machen wollte. Und gerät unter den mächtigen Schatten seiner Flügel.  

            Und sie werden ihre Flügel ausbreiten, dass sie dein Land, o Immanuel, füllen, so weit es ist. Ist das ein Klageruf des Propheten, mitten in seiner Ansage des Unheils? Ein Klageruf zu Gott? Ein Klageruf, der festhält: Es ist und bleibt doch Dein Land, Gott, auch wenn es überflutet wird, überschattet durch die Macht Assurs. Und Du bleibst, auch wenn Du uns dem Gericht preisgibst, Immanuel, Gott mit uns.

 9 Tobet, ihr Völker, ihr müsst doch fliehen! Höret’s alle, die ihr in fernen Landen seid! Rüstet euch, ihr müsst doch fliehen; rüstet euch, ihr müsst doch fliehen! 10 Beschließt einen Rat und es werde nichts daraus; beredet euch und es geschehe nicht! Denn hier ist Immanuel!

            Ein Zwischenruf. Wie aus einer anderen Zeit. Wie an andere Hörer gerichtet. Aber möglicherweise auch ein Zwischenruf, der mitten in der Angst an der Hoffnung festhält: Das Gericht wird nicht das letzte Wort behalten. Die Feinde mögen siegen, Juda mag unterliegen, aber das ist nicht das Ende aller Dinge. Nicht, weil die Gottesstadt am Ende dann doch uneinnehmbar wäre. Nicht wegen der inneren Stärke Jerusalems und Judas. Einzig aus einem Grund: Denn hier ist Immanuel!

11 Denn so sprach der HERR zu mir, als seine Hand über mich kam und er mich warnte, ich sollte nicht wandeln auf dem Wege dieses Volks:

            Manchmal werden auch Propheten müde und bereit aufzugeben. Jeremia klagt einmal, dass er es leid ist, immer abseits zu stehen, dass er die Sehnsucht nur zu gut kennt, doch auch einmal im Mainstream dabei zu sein, in der Mitte des Volkes, einer, der nur mitläuft. So viele wollten immer nur nichts anderes, als dabei sein, anerkannt durch die anderen. Propheten sind da nicht anders als andere, normale Leute. Deshalb wohl wird Jesaja so schroff gewarnt.

 12 Ihr sollt nicht alles Verschwörung nennen, was dies Volk Verschwörung nennt, und vor dem, was sie fürchten, fürchtet euch nicht und lasst euch nicht grauen, 13 sondern verschwört euch mit dem HERRN Zebaoth; den lasst eure Furcht und euren Schrecken sein.

            Um dieser Versuchung standhalten zu können, braucht es den Durchblick. Den Durchblick durch die Verwirrung der Sprache, durch die Nebelwerferei von Propaganda, durch die suggestive Kraft von Schlagworten und Sichtweisen. Den Durchblick auch durch allzu einfache Wahrheiten, die in Wahrheit keine Wahrheiten sind.

            Diesen Durchblick gewinnt man in der Gottesfurcht. Das könnte fast ein Satz aus der Weisheits-Tradition Israels sein. „Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Erkenntnis. Die Toren verachten Weisheit und Zucht.“ (Sprüche 1,7) Und es erinnert mich auch an Worte Jesu, die ihrerseits zu Klarheit und Freiheit von Furcht verhelfen wollen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“ (Matthäus 10,28) Es gibt Menschen-Furcht, die knechtet und es gibt Gottes-Furcht, die frei macht. Wer es fassen kann, der fasse es. 

            Wenn die Anrede an Jesaja hier im Plural ist – ihr – dann mag das ein Hinweis darauf sein, dass Jesaja nicht so allein ist. Da sind Schüler und Sympathisanten um ihn. Gruppen, die die allgemeine Sicht nicht teilen. Die werden durch diese Worte in ihrer Widerstandskraft gegen das, was im Gange ist, gestärkt.

 14 Er wird ein Fallstrick sein und ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses für die beiden Häuser Israel, ein Fallstrick und eine Schlinge für die Bürger Jerusalems, 15 dass viele von ihnen sich daran stoßen, fallen, zerschmettern, verstrickt und gefangen werden.

               Aber, genau hier entscheidet sich, was werden wird. Gott kann der feste, der ewige Fels sein, auf dem das Volk steht, das Königshaus gegründet ist. Aber er kann auch ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses sein, für Israel, für das eigene Volk, wenn es den Glauben verweigert. Er kann zum Fallstrick für die Bürger Jerusalems werden, wenn sie so halbherzig unterwegs bleiben, wie sie es jetzt sind. 

Zum Weiterdenken

            Wenn sogar Propheten müde und matt werden, bereit aufzugeben, ist es da erstaunlich, dass auch wir heute so widerständig nicht sind? Es ist mehr als ein harmloser Ulk. „Die Gemeinde darf sich wieder setzen“, sagte der Pfarrer. Aber sie widersetzte sich nicht.“ Es ist eine der Versuchungen, die sich durch die Zeit ziehen, auch bis heute, die auch nicht nur einzelne angehen, sondern ganze Kirchen: Sein zu wollen, wie man halt so ist. Die Frage ist immer neu gestellt: Holt ihr euch die Kraft zum Widerstehen gegen die Anpassung – und woher holt ihr sie euch? Jesaja Antwort ist eindeutig: solche Kraft kommt aus dem Glauben, der sich Gott vertraut. 

Mir bleibt, gerade im Zusammenhang dieser Prophetenworte, die so stark in die politische Realität ihrer Zeit hineinreden, die sich einmischen und mahnen, doch wichtig, für uns heute: Es geht um Gewissensschärfung durch die Bindung an Gott und nie und nimmer um kirchliche Bevormundung von Kanzeln aus oder durch Synoden als politischen Neben-Regierungs-Plätzen. Schon gar nicht geboten ist gleichzeitig die devote Zustimmung von Synoden zu irgendwelchen Gesetzen, bloß weil sie im Trend der Zeit liegen.

Mein Gott, wo suchen wir Hilfe? Zuflucht? Jeden Abend sehe ich in der Tagessschau: Es sind die Bündnisse, die uns schützen. Es braucht gutem kluge, weitsichtige Politik, de suche nach Unabhängigkeit von denen, die ihre Macht missbrauchen könnten.

Gilt das auch für mich – als Einzelnen? Wahr ist: Ich suche oft genug Sicherheit in dem, was auf der Hand zu liegen scheint, in eigenen Versuchen, die Dinge in den Griff zu kriegen. Es ist ein Sicherheitsnetz, über Jahrzehnte entwickelt, das mich tragen und bergen soll.

Lehre Du mich, dem, was mich fürchten lassen will, das Vertrauen auf dich entgegen zu setzen- Lehre mich, dass es vernünftig ist, dass ich mich auf Dich verlasse, zu Dir flüchte, Dir vertraue. Lehre es mich immer neu, weil ich es so leicht vergesse. Amen

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