Schwerter zu Pflugscharen

Jesaja 2, 1 – 5

1 Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem:

Die nachfolgende Vision wird in fast gleichen Worten auch im Buch des Propheten Micha überliefert (Micha 4, 1-5). Dort fehlt allerdings der Einleitungsvers, der die Vision Jesaja, dem Sohn des Amoz zuschreibt. Das könnte ein Hinweis sein, dass sie bei Jesaja ihren ursprünglichen Ort hat und bei Micha „nur“ Zitat ist.

 2 Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, 3 und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.

Wahr ist: Die Zeiten, in der sich Berge weit über ihr seitheriges Niveau aufgetürmt haben, gehören der Entstehungszeit der Erde an. Nicht mehr unseren Zeiten.

Aber vielleicht muss ich ja gar nicht so lesen, als würde hier die Erdbeschaffenheit rund um den Zion gewandelt. Gemeint sein könnte doch, dass der Zionsberg auf einmal eine Bedeutung gewinnt, die ihn alle Berge überragen lässt. Über Jesaja hinaus: Der Berg, auf dem das Heil der Welt sich entscheidet im Kreuz Jesu.

Zu diesem Berg beginnt in den späteren Tagen eine regelrechte Völkerwallfahrt. Menschen aus allen Völkern laufen herzu, werden angezogen von diesem Berg, suchen den Weg zum Haus des Gottes Jakobs. Sie gehen den Weg nach, den Israel einst gezogen ist, aus Ägypten zum Horeb und vom Horeb zum Zion. Sie werden Pilger zum Haus Gottes, die dort auf Wegweisung hoffen.   

Warum? Sie bringen nichts mit. Sie unterwerfen sich nicht. Sie holen sich vielmehr, wovon sie sich Lebensgewinn versprechen. Sie wollen ihren Weg nach dem Wort des HERRN und seinen Weisungen ausrichten. Weil sie spüren: Hier hören wir „Worte des ewigen Lebens.“ (Johannes 6,68) Es geht nicht nur um Belehrung über das Gebot, auch nicht nur um Gotteslehre. Es geht um eine Einweisung in Lebenspraxis, die sich dem Wort des HERRN anvertraut und die dann auch wirklich seine Wege geht, auf seinen Steigen wandelt. Es ist Sache der Weisungen Gottes, die vom Zion ausgehen, die Herzen zu erreichen. Nicht Sache der Leute Gottes, für ihn Werbung zu machen. Das ist kein künstlicher Gegensatz, nur eine historische Klarstellung.

4 Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Ein Ergebnis dieser Weisungen vom Zion her: Eine weltweite, globale Neuordnung unter den Nationen. Weit über Israel hinaus. Nicht das einzige Ergebnis. Zurechtweisen ist zurechtbringen. Es kommt durch das Wort vom Zion her zu einer Neuausrichtung des Lebens. Ein Ergebnis dieser Neuausrichtung ist die Konversion von Kriegsgerät in Werkzeuge des Lebens

5 Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!

Das ist die Antwort – eine Selbstverpflichtung Israels: Als Gottes Volk in der Zeit wollen wir wandeln im Licht des HERRN, nach den Maßstäben der Zukunft Gottes leben. Es mag sein: Die Völker denken zu seiner Zeit noch nicht an diese Wallfahrt – das weiß Jesaja. Sie folgen anderen Tagesordnungen und anderen Gesetzmäßigkeiten.  Umso wichtiger ist es, dass Israel zu einer neuen Treue und zu einem neuen Wandel auf den Wegen Gottes findet, die Zukunft der Völker gewissermaßen vorweg nimmt.

  Zum Weiterdenken

Es ist der Blickwechsel des Propheten, weg vom Volk, hin zu Gott, der diesen Wechsel der Prophetenworte bewirkt. Es ist die Unterscheidung: die Wirklichkeit des Volkes ist das Eine, die Wahrheit Gottes das Andere. Die Wirklichkeit des Volkes ist so, dass die Gerichtsworte plausibel sind. Der Blick auf die Wahrheit Gottes dagegen rückt das Erbarmen, die Treue, die Liebe, die nicht aufgibt, ins Bild. So ist das wohl bis heute: Wer auf die Kirche schaut, der sieht Menschen am Werk mit Schwächen, Fehlern, Kleinglauben und manchmal auch tapfer. Aber alles in allem eine Geschichte, die viele dunkle Flecken hat. Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Waffen segnen, Kumpanei mit den Mächtigen…. Genug, um zu sagen: Mit diesem Verein geht es bergab, wenn er Weiter so! als Parole hat.

Die Worte dieser Vision sind ausgewandert aus ihrem Zusammenhang. Dass Schwerter zu Pflugscharen, Spieße zu Sicheln gemacht werden, ist im Denken des Jesaja Folge dessen, dass Menschen der Weisung Gottes ihr Herz öffnen und ihr Handeln davon bestimmen lassen. Es ist eben nicht Konsequenz einer allgemein einleuchtenden Friedensethik oder eines grundsätzlichen Pazifismus. Demgegenüber sagt die weltliche Vernunft vielmehr stattdessen: „Si vis pacem, para bellum.“ Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Sei gerüstet, so wird dich keiner angreifen.   

Wann ist es so weit, dass die Tage der „letzten Zeit“ da sind? Manchmal denke ich, wir sind heute weiter von ihnen entfernt als es zur Zeit des Jesaja war. Weil augenscheinlich das Fragen nach der Wegweisung Gottes völlig aus der Mode gekommen ist. Heute fragt man nach der Zustimmungsquote bei Wählern und in den Medien, nach dem Stand des DAX, nach der Durchsetzbarkeit der eigenen Interessen, nach den Auswirkungen auf den Markt, Alles legitime Fragen – nur Gottes Weisung kommt darin nicht vor.

Umso größer die Herausforderung an alle, denen es mit Gott ernst ist, mit dem Glauben, die zum Volk Gottes gehören wollen, zu seinem Aufgebot in der Welt. Die Vision folgt einer anderen Vernunft. Wir sollen so tun als ob. Wir sind dazu berufen, heute schon aus der Hoffnung auf die Gegenwart Gottes zu handeln. Wir üben es heute schon ein, seine Weisungen suchen, Auf sein Wort und seine Stimme höre und ihr folgen. Die Christen sind um ihres Glaubens willen in der Gegenwart schon der Zukunft Gottes verpflichtet. Wir sind berufen zu einer Lebenspraxis, in der aufleuchten kann: Wir trauen auf das Kommen Gottes.

Es ist ein schräger Satz „Viele kleine Leuten an vielen Orten können das Gesicht der Welt verändern.“ Sie können es, wenn sie mit der Selbstentwaffnung anfangen und mit der Selbstentwertung – wir können ja doch nichts ändern – aufhören. Wenn wir uns aufmachen zu dem Berg Gottes, uns orientieren an seinem Recht, für uns seine Gerechtigkeit – geschenkt! – in Anspruch nehmen.    

Wer auf die Kirche schaut, der sieht Menschen am Werk mit Schwächen, Fehlern, Kleinglauben und manchmal auch tapfer – das soll Gottes Avantgarde sein? Ich – einer von denen, mit denen Gott seinen Weg gehen will? Ich lerne mühsam: ich muss nicht die Welt retten. Das ist Gottes Job und er hat ihn sich auch vorbehalten als Alleinstellungsmerkmal. Ich darf einfach tun, was vor meinen Füßen ist, wofür meine Kraft reicht. Und Gott kann daraus etwas machen. 

Mein Gott, wir haben vor Augen, dass ein mörderischer Krieg geführt wird – Städte werden zerbombt, Menschen getötet, misshandelt, missbraucht, in die Flucht gejagt Glaube ich es dennoch, dass irgendwann Schwerter zu Pflugscharen werden, die Völker das Kriegshandwerk verlernen, Soldaten zum Blumen-Pflücken gehen, Gewehre verrotten?

Ich weiß es nicht, wie ich an diesem Glauben festhalten kann. Aber ich möchte daran festhalten – nicht naiv; nichts vertrauensselig. Ich möchte daran festhalten, weil Du uns diese Worte zusagen lässt. Du wirst sie einmal Wirklichkeit werden lassen. Amen  

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