Jesaja 8, 16 – 23
16 Verschließe das Zeugnis! Versiegele die Weisung in meinen Jüngern!
Eine Aufforderung – an Jesaja gerichtet. Andere Übersetzungen lesen hier eine Anweisung des Jesaja an sich selbst: „ (Ich will)die Offenbarung unter Verschluss legen, versiegeln die Weisung in meinen Jüngern.“ (Menge) Es wirkt, als würde Jesaja sich dessen versichern, dass seine Botschaft nicht unterdrückt werden kann. Sie wird sorgfältig aufbewahrt – einmal durch die Konservierung als Schriftstück. „Die Schriftrollen wurden in Leinentücher eingenäht und dann in Tonkrüge getan, welche anschließend luftundurchlässig versiegelt wurden.“ (D. Schneider, aaO. S. 189)
Die andere Weitergabe und Aufbewahrung: Da ist ein Kreis von Schülern, Jüngern, denen sich Jesaja anvertrauen kann. Woher diese Jünger des Propheten kommen, bleibt unklar. Sie sind da. Entscheidend ist: diese Worte sollen nicht nur Augenblicksbotschaft sein, womöglich in den Wind gesprochen. Sie sollen aufbewahrt werden für spätere Zeiten. Nicht nur als Beleg dafür, was Jesaja gesehen und gesagt hat. Mehr noch als Botschaft für spätere Zeiten. Vielleicht darf man so weit gehen: Jesaja hofft in späteren Zeiten auf ein neues Hören in Israel.
17 Und ich will hoffen auf den HERRN, der sein Antlitz verborgen hat vor dem Hause Jakob, und will auf ihn harren. 18 Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir der HERR gegeben hat als Zeichen und Weissagung in Israel vom HERRN Zebaoth, der auf dem Berge Zion wohnt.
Dazu passt: Jesaja gibt die Hoffnung nicht preis, dass der HERR handeln wird. Dass Gott tun wird, was er angesagt hat. Mag sein, Gott verbirgt im Augenblick sein Antlitz – aber das wird nicht Gottes letztes Wort sein. Es ist eine gespannte Haltung, die Jesaja da von sich selbst aussagt, nicht irgendwo nur so vor sich hin dösen und warten, dass etwas geschieht. Es stärkt Jesaja: er ist nicht allein, kein einsamer Mensch. Da sind andere bei ihm, die Kinder, die mir der HERR gegeben hat, die seine Wahrheit teilen. Seine Söhne, die mit ihren Namen die Weissagung bezeugen – Schear-Jaschub (Ein Rest kehrt um) und Raubebald-Eilebeute.
19 Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müsst die Totengeister und Beschwörer befragen, die da flüstern und murmeln, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Oder soll man für Lebendige die Toten befragen?
Es scheint, Jesaja rechnet mit Widerspruch gegen seine Botschaft. Darum warnt er seine Schüler. Er weiß, dass man ihnen sagen wird, dass es doch auch andere Möglichkeiten gibt, die Zukunft zu erforschen – immerhin sind in der Großmacht, die vor den Grenzen steht, solche Praktiken Gang und Gäbe und sprechen nicht die unabweisbaren Erfolge dafür, Totengeister und Beschwörer zu befragen? Es ist das immer gleiche Argument – adere machen das doch auch und bei denen funktioniert es. Das kann doch nicht falsch sein oder verwerflich
Dem stellt Jesaja in aller Knappheit entgegen: Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Es ist das Argument der Treue gegen den Gott, der sich mit Israel verbunden hat. Nur in der Treue zu ihm wird das Volk seinen Weg finden können. Und fast rationalistisch: Was ist das für ein Unfug, für die Lebenden die Toten zu befragen? Seit wann gibt es aus Gräbern Antworten auf die Frage nach dem richtigen Weg? Es sind knappe Botschaften, wenn man so will, eingängige Kurzformeln, die die Jesaja-Schüler sich aneignen sollen. Keine langen Debatten.
20 Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung! Werden sie das nicht sagen, so wird ihnen kein Morgenrot scheinen, 21 sondern sie werden im Lande umhergehen, hart geschlagen und hungrig. Und wenn sie Hunger leiden, werden sie zürnen und fluchen ihrem König und ihrem Gott, und sie werden über sich blicken 22 und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern.
Es wird nur einen Weg aus der Bedrängnis geben, aus der Enge der Ängste vor den Feinden: Hin zur Weisung und hin zur Offenbarung! Das ist alternativlos. Wenn das Volk diesen Weg verweigert, wird es bitter dafür bezahlen müssen. Wenn sie glauben, auf eigene Faust und ohne neues Hören auf Gott und ohne neues Gehorchen aus ihrer Angst zu kommen, werden sie erleben, dass das eine furchtbare Täuschung ist. Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen ist und bleibt eine Lüge.
Es ist die Schilderung einer verhängnisvollen Abwärtsspirale. Hart geschlagen und hungrig. werden sie zürnen und fluchen ihrem König und ihrem Gott, und werden nichts finden als Trübsal und Finsternis. Es ist ein Gefängnis der Angst, aus dem es keine Befreiung gibt.
23 Doch es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Hat er in früherer Zeit in Schmach gebracht das Land Sebulon und das Land Naftali, so hat er hernach zu Ehren gebracht den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden.
Unheil über Unheil hatte Jesaja anzusagen. Zuletzt eine regelrecht verhängte Dunkelheit und Gottesfinsternis. Und jetzt – überraschend – ein anderer Ton. Noch ist nicht alles heil, aber das Dunkel wird schon gebrochen. Ein neuer Tag, ein anderer Tag wird angesagt. Weil er, Gott, den Wandel herbeiführt. Das Galiläa der Heiden, so das ein wenig abfällige Urteil über diese merkwürdige Mischbevölkerung im Norden aus der Sicht der Jerusalemer, das wird Gott zu Ehren bringen. Wie, weiß Jesaja nicht. Warum, muss er auch nicht wissen. Es ist einfach so.
Zum Weiterdenken
Ich lese diese Worte in einer Zeit, in der der Klimawandel das große Thema geworden ist. Ein Thema, an dem sich die Zukunft der Welt entscheiden wird. Ich sehe in den Bildern der Nachrichten, dass sich die Mächtigen der Erde gegenseitig blockieren. Kleinliche Interessen einzelner Staaten und Industriegruppen sind wichtiger als eine Antwort auf die heranziehende Gefahr, die längst dunkle Schatten wirft. Es wird nicht damit getan sein, dass ich meinen alten Diesel-Pkw durch einen neuen, umweltverträglicheren ersetze. Gewiss: es muss sozialverträglich sein, wenn in der Lausitz und am Niederrhein die Kohleförderung ans Ende kommt. Aber das darf doch nicht dazu führen, dass die nötigen Schritte bis zum St. Nimmerleinstag hinausgezögert werden.
Ich fürchte, dass unsere Enkel uns furchtbar beschimpfen werden, indem sie fragen: Warum habt ihr die Zeit zur Umkehr ungenützt verstreichen lassen? Warum habt ihr die Städte nächtens taghell erleuchtet, aber die Nacht der Herzen, die Finsternis des Unverstandes nicht überwunden? Und wir werden nicht sagen können wie die Generation, die die Weimarer Republik kampflos aufgegeben hat: Das haben wir alles nicht gewusst. Wir haben es täglich gehört und sind weiter im Dunkel der Angst getappt. Umkehr tut not.
Gleichzeitig, ein wenig seltsam:Es ist kein Wunder, dass sich die Hoffnungen des Advents in der Christenheit mit solchen Worten verbunden haben. Zumal in einer Landschaft, in der die Dunkelheit doch mehr und mehr im Herbst das Regiment zu übernehmen scheint. „Die Nacht ist schon im Schwinden.“ (J. Klepper, 1938, EG 16)
Mein Gott, ich bin nicht so anfällig für Verschwörungstheorien, auch nicht für Untergangsängste. Aber mir macht eine Welt Angst, in der die Machtinteressen eines Staates offenkundig wichtiger sind als die gemeinsame Anstrengung um einen Kompromiss in Sachen Klima-Aktivitäten.
Ich bin keiner, der an den großen, weltweit wichtigen Entscheidungen beteilig ist. Aber ich spüre, dass es Kraft kostet, sich nicht einfach treiben zu lassen. Es kostet auch Kraft, in den Bangigkeiten der Zeit am Gauben festzuhalten, an dir festzuhalten. einfältig an Deinen Wegweisungen zu bleiben, das Vertrauen darauf zu setzen, dass Dein Wort wahr ist, tragfähig über alle Zeiten hinweg.
Ich danke Dir, dass Du nicht aufgibst, uns dazu zu rufen, dass wir bei Dir bleiben: Danke, dass Du jeden Tag neu uns suchst. Amen