Noch einmal davongekommen

Jesaja 4, 1 – 6

1 Und sieben Frauen werden zu der Zeit „einen“ Mann ergreifen und sprechen: Wir wollen uns selbst ernähren und kleiden, lass uns nur nach deinem Namen heißen, dass unsre Schmach von uns genommen werde.

            In diesem Chaos sind Frauen besonders übel dran, die nicht den Schutz eines Mannes und seiner Sippe haben. Aller Reichtum nützt nichts, wenn da kein Beistand ist, keiner, der in dem männlich geprägten Rechtsraum einsteht für eine Frau, seine Frau. Was für ein Abstieg: Lass uns nur nach deinem Namen heißen – das ist kein bloßer Namenswechsel bei der Eheschließung, sondern ein Rechtsakt. Sie werden so Eigentum des Mannes, Sklavinnen. Alles, nur nicht schutzlos und rechtlos allein bleiben. Wenn das Land und die Ordnung zusammenbrechen, ist selbst Sklaverei noch besser als die völlige Schutzlosigkeit.

            Im Schicksal dieser Frauen spiegelt sich das Schicksal Jerusalems und Judas, wenn das Gericht Gottes in seiner ganzen Härte Wirklichkeit werden wird.  

2 Zu der Zeit wird, was der HERR sprießen lässt, lieb und wert sein und die Frucht des Landes herrlich und schön bei denen, die erhalten bleiben in Israel.

            Wieder, wie schon in V. 1:  Zu der Zeit. Als Leser reibe ich mir verwundert die Augen: Wie denn nun? Geht das alles gleichzeitig? Gibt es doch mitten im Untergang Bewahrung, Rettung?

            Hier also: Der Herr lässt sprießen. Ganz weit greift das Wort zurück: „Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.“ (1. Mose 1, 11) Oder anders, voller Staunen, klingt es so:

            Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen,

            dass du Brot aus der Erde hervorbringst,

                        dass der Wein erfreue des Menschen Herz

                        und sein Antlitz schön werde vom Öl

                        und das Brot des Menschen Herz stärke.          Psalm 104, 14 – 15

            Das ist Zeichen der Güte und der Macht Gottes, dass er auch in solchen Zeiten Wachsen und Gedeihen gibt, der Rhythmus von „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1. Mose 8,22) nicht aufhört.

            Auch das eine erste Hoffnungs-Botschaft. Es gibt welche, die erhalten bleiben in Israel. Das Land wird nicht gänzlich menschenleer und die Vernichtung macht nicht alles zunichte. Hier mag im Hintergrund mitspielen, dass beim Untergang Samarias 722 v. Chr. nicht alle verschleppt worden sind, nicht der ganze Norden entleert worden ist.  

 3 Und wer da wird übrig sein in Zion und übrig bleiben in Jerusalem, der wird heilig heißen, ein jeder, der aufgeschrieben ist zum Leben in Jerusalem.

            Ein Rest wird bleiben, übrig sein in Zion, auch nach dem Gericht. Sind das jetzt die Guten und verdanken sie ihre Verschonung ihrer moralischen Qualität? „Der Text bietet keinen Anhalts-punkt dafür, dass die Entronnenen diejenigen wären, bei denen während des richterlichen Ausschmelzungsprozesses „ein guter Kern“ zutage getreten wäre.“ (D. Schneider, aaO. S. 106) Wer entronnen ist, kann nur staunend sagen: „Wir sind noch einmal davon gekommen.“

            Die, die so davon kommen, werden heilig heißen. Nicht, weil sie Heilige sind, wohl aber, weil sie ihr Dasein Gott verdanken, der der Heilige ist. Wer so gerettet ist, ist einer, der aufgeschrieben ist zum Leben in Jerusalem. Ist das nicht auch ein Stück Gnade: Weiter dort leben zu dürfen, wo sich das Haus Gottes befindet?

 4 Wenn der Herr den Unflat der Töchter Zions abwaschen wird und die Blutschuld Jerusalems wegnehmen durch den Geist, der richten und ein Feuer anzünden wird, 5 dann wird der HERR über der ganzen Stätte des Berges Zion und über ihren Versammlungen eine Wolke schaffen am Tage und Rauch und Feuerglanz in der Nacht.

            Dass es zu einem solchen Entrinnen kommt, ist Gottes Tat. Er reinigt das Volk. Er wäscht den Unflat der Töchter Zions ab.  Er nimmt die Blutschuld Jerusalems weg. Alles ER. „Es gibt keine Erneuerung des Volkes Gottes ohne die voraufgegangene Beseitigung der Schuld und ihrer Folgen.“ (D. Schneider, aaO. S. 107) Das aber kann Jerusalem nicht selbst leisten. Niemand kann sich selbst „entschuldigen“.  Dieses „Entschuldigen“ ist immer ein Geschehen von außen, immer ein Widerfahrnis der Gnade.

            Das aber geht “wie durchs Feuer.“ (1.Korinther 3,15) So weit wirken die Bilder, die Jesaja hier verwendet. Und greifen zugleich selbst weit zurück: „Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule“ (2. Mose 13,21) Es sind Bilder, in denen die Gegenwart Gottes gefasst wird, in der das Volk geborgen ist.    

 Ja, es wird ein Schutz sein über allem, was herrlich ist, 6 und eine Hütte zum Schatten am Tage vor der Hitze und Zuflucht und Obdach vor dem Wetter und Regen.

            So auch hier. Es geht um eine schützende Gegenwart Gottes in schutzlosen Zeiten. Um Hilfe, wo dem Herzen bange ist, um Zuflucht vor den Unbilden der Witterung und des Lebens. Diese Gegenwart Gottes hängt nicht daran, dass wir ihn gegenwärtig glauben. Es ist zu unserem Glück nicht so, dass erst unser Glaube Gott gegenwärtig sein lässt. Er ist gegenwärtig, auch wenn wir seine Gegenwart nicht spüren. Es gibt, auch in Chaos-Zeiten, nicht nur die Tage des Unglücks, es gibt auch Tage neuen Lebens. Diese Worte Jesajas sind wie eine Rettungsinsel im Sturm der Gegenwart.

Zum Weiterdenken

            Für mich ist es eine Hilfe, diese ganze Textpassage nicht ans Ende der Zeit oder gar jenseits der Zeit zu platzieren. Ich glaube, dass sie davon redet, wie es ist, dem geschichtlich fassbaren Untergang entgangen zu sein oder zu entgehen. Es ist ein durchaus „eigentümlicher“ Blick auf Jerusalem und Juda, zu sagen: `Wir sind verschont geblieben und der großen Wegführung entgangen. Wir dürfen hier weiterleben. Das ist Gnade.‘  Es ist ein großer Trost: Es gibt Bewahrung und Weiterleben auch in der Zeit, auch in den Untergängen unserer Tage. Aber was wird aus solcher Bewahrung? Was machen wir mit solcher Gnade im Rücken? 

            Das war nach 1945 in vielen Herzen ein Gedanke: Wir sind noch einmal davon gekommen. Wir sind dem großen Untergang entgangen. Das ist bei manchen nach lange Krankheit ein Gedanke: Ich bin noch einmal verschont geblieben. Wird daraus eine selbstsichere, gar selbstgerechte Vorstellung: Das habe ich ja auch verdient. Oder wird daraus das demütige Wissen: dass ich noch weiter leben darf, ist eine Aufforderung Gottes an mich: Suche nach den neuen Wegen, auf denen dich mein Wille und mein Wort leiten.

Du heiliger Gott, wie oft habe ich nur Augen für die Schrecken der Zeit, Wie oft bin ich gefesselt von den Bildern, die Angst machen. Du aber willst, dass wir uns aus diesen Schrecken lösen lassen. Auch im Dunkel der Welt hältst Du fest am Geschenk des Lebens.

Es ist die große Herausforderung an meinen kleinen Glauben, daran festzuhalten: Du wirst den längeren Atem haben. Das Leben siegt, weil Du das Leben willst in dieser Welt, die aus tausend Wunden blutet. Amen

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