Im unvergänglichen Licht

Offenbarung 21, 22 – 27

22 Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm. 23 Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.

            In dieser vollkommenen Stadt ist kein Tempel. Er ist nicht mehr nötig. Ist doch der Tempel der Wohnort Gottes in unserer Welt, der Ort, an dem wir ihn anrufen können, zu ihm flehen, ihm klagen. In dem sein Name wohnt (2. Chronik 7,16). Wenn Gott aber selbst, in Person, Wohnung genommen hat unter seinen Menschen, bei ihnen, in ihrer Mitte zeltet (Johannes 1,14), dann braucht es keinen Tempel mehr. „Das alles ist kein Mangel, vielmehr höchste Vollkommenheit.“ (T. Holtz, aaO. S. 139) Gott bei seinen Menschen – mehr geht nicht.

Es ist eine Linie, die in der Folge der Schriften angelegt ist. Im Bund mit Israel ist der Tempel der Ort, an dem Gott sich finden lassen will. Nicht der einzige Ort – jeder alte Dornbusch ist gut genug, Gottes Ort zu werden, aber doch ein Ort, an dem Gott sich versprochen hat. In der Verkündigung Jesu hören wir schon neue Töne: „Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Johannes 4, 20 – 24) Da wird die Frage nach dem Ort umgewandelt in die Frage nach der Art und Weise der Anbetung. 

            Und bei Paulus wird die Tempelfrage noch einmal umgewandelt, wenn er fragt: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?“ (1. Korinther 6,19) Da sindes auf einmal die Christen – und zwar ihr Leib und nicht nur ihr Geist, in denen Gott seine Gegenwart aufleuchten lassen will.  In der Welt. Hier und heute. Und jetzt also, in der Johannes-Offenbarung noch einmal der eine Schritt weiter: Gott ist gegenwärtig, unverstellt – und da ist der Tempel überholt.

            Überflüssig geworden. So wie auch der Pfarrerstand überflüssig wird, wenn Gott leibhaftig unter seinen Menschen wohnt. Auch das schon längst angesagt: „Es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ (Jeremia 31,34) Was für eine glückselige Zeit!

            Und: Keine Sonne mehr, kein Mond mehr. Die Gestirne des Himmels haben ausgedient. Die Schöpfung ist neu. Lampen am Himmel braucht es nicht mehr, weil diese neue Schöpfung Himmel auf Erden ist, Gegenwart Gottes, die aufstrahlt ohne jedes Dunkel. Ihre Leuchte ist das Lamm. Das ist keine Zusatzleuchte zur Herrlichkeit Gottes. Das ist die strahlende Herrlichkeit Gottes.

            Man hat wohl manchmal der Offenbarung vorgeworfen, dass sie das Kreuz nicht im Blick habe, dass sie eine reine Sieger-Christologie vertrete. Ich vermag das so nicht zu sehen. Es leuchtet doch in der himmlischen Wirklichkeit die Herrlichkeit des Lammes auf, aus der Tiefe, wenn es von ihm heißt: „Das Lamm steht, wie geschlachtet“ (5,6); die Herrlichkeit des Lammes, von dem sie anbetend singen: „Das Lamm, das geschlachtet ist, ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob.“ (5,12) Und auch das ist zu hören, wenn von der Herrlichkeit des Lammes zu reden ist: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Johannes 1,29) Nein, die johanneischen Schriften haben den Weg nach unten nicht vergessen und übersprungen. Aber sie sehen ihn gemeinsam als den Weg dessen, der am Ende die Welt ans Ziel bringt.

 24 Und die Völker werden wandeln in ihrem Licht;

             Das ist die Erfüllung der Erwartungen Israels: Die Völkerwallfahrt zum Zion wird zum Einzug in die Stadt Gottes. Die Völker werden regelrecht angezogen von dieser Stadt. „Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.“ (Micha 4,2) Ich übertrage, sicher nicht gegen jüdisches Denken: In den Weisungen und dem Wort des HERRN leuchtet seine Herrlichkeit auf. Sie sind das Licht, in dem die Völker wandeln. 

und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. 25 Und ihre Tore werden nicht verschlossen am Tage; denn da wird keine Nacht sein. 26 Und man wird die Pracht und den Reichtum der Völker in sie bringen. 27 Und nichts Unreines wird hineinkommen und keiner, der Gräuel tut und Lüge, sondern allein, die geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes.      

            In diese Stadt, in der die Herrlichkeit Gottes leuchtet, bringen die Könige ihre eigene, bescheidene Herrlichkeit ein. Und die Völker bringen die Pracht und den Reichtum ein. Daraus erklärt es sich mir auch, dass am Ende nicht die Wiederherstellung des Paradieses vom Anfang steht, das ganz und allein Gottes Handschrift trägt, sondern eben die neue Stadt, in die eingebracht wird, was der Ertrag der Geschichte ist – das Wahre, Gute, Schöne, was die Freude am Leben als Zeichen an sich trägt und gleichfalls, was die Zeichen des Schmerzes am Leben an sich trägt. Das wird in dieser neuen Stadt heil werden. Es ist wohl so: Alles, was gut ist, findet hier seinen Platz. Alles, was schön ist, alles, was aus der Wahrheit schöpft, wird seinen Platz finden in der Stadt Gottes. Nichts muss dem anderen seinen Platz streitig machen. 

            Ich lese das auch nicht als eine Einschränkung: allein, die geschrieben stehen in dem Lebensbuch des Lammes. In der Vollkommenheit ist kein Raum für das Unvollkommene. In der Herrlichkeit ist kein Raum für das, was befleckt ist, verschmutzt, aus dem Hass geboren, aus der Lüge. Es ist eine Linie, die sich vielfach in der heiligen Schrift findet:  

„Die Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden

und die Gottlosen nicht mehr sein.

Lobe den HERRN, meine Seele! Halleluja!“                        Psalm 104, 35

Wo die Herrlichkeit Gottes aufstrahlt, muss alles Dunkel weichen. Da ist kein Raum mehr für eine Welt gegen Gott, ohne Gott. Weil Gott ja alles in allem ist.    

Mein Gott, das ist das Ziel aller Deiner Wege mit der Welt: Alles, was gut ist, findet seinen Platz in Deiner neuen Welt. Alles, was schön ist, alles, was aus der Wahrheit schöpft, findet seinen Raum in Deiner Stadt, in Deinem licht. Kein Leben mehr zu Lasten anderen Lebens. Kein Streit mehr um Raum und Macht. Du wirst alles in allem sein und alles wird in Dir sein. Amen 

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