Es hat sich herumgesprochen

1. Mose 42, 1 – 28

1 Als aber Jakob sah, dass Getreide in Ägypten zu haben war, sprach er zu seinen Söhnen: Was seht ihr euch lange an? 2 Siehe, ich höre, es sei in Ägypten Getreide zu haben; zieht hinab und kauft uns Getreide, dass wir leben und nicht sterben. 3 Da zogen hinab zehn Brüder Josefs, um in Ägypten Getreide zu kaufen. 4 Aber den Benjamin, Josefs Bruder, ließ Jakob nicht mit seinen Brüdern ziehen; denn er sprach: Es könnte ihm ein Unfall begegnen. 5 So kamen die Söhne Israels, Getreide zu kaufen, samt andern, die mit ihnen zogen; denn es war Hungersnot im Lande Kanaan. 6 Aber Josef war der Regent im Lande und verkaufte Getreide allem Volk im Lande. Als nun seine Brüder kamen, fielen sie vor ihm nieder zur Erde auf ihr Antlitz. 7 Und er sah sie an und erkannte sie, aber er stellte sich fremd gegen sie und redete hart mit ihnen und sprach zu ihnen: Woher kommt ihr? Sie sprachen: Aus dem Lande Kanaan, Getreide zu kaufen. 8 Aber wiewohl er sie erkannte, erkannten sie ihn doch nicht. 9 Und Josef dachte an die Träume, die er von ihnen geträumt hatte, und sprach zu ihnen: Ihr seid Kundschafter und seid gekommen, zu sehen, wo das Land offen ist. 10 Sie antworteten ihm: Nein, mein Herr! Deine Knechte sind gekommen, Getreide zu kaufen. 11 Wir sind alle eines Mannes Söhne. Wir sind redlich. Deine Knechte sind keine Kundschafter. 12 Er sprach zu ihnen: Nein, sondern ihr seid gekommen, zu sehen, wo das Land offen ist. 13 Sie antworteten ihm: Wir, deine Knechte, sind zwölf Brüder, eines Mannes Söhne im Lande Kanaan, und der jüngste ist noch bei unserm Vater, und der eine ist nicht mehr. 14 Josef sprach zu ihnen: Es ist, wie ich euch gesagt habe: Kundschafter seid ihr. 15 Daran sollt ihr geprüft werden: So wahr der Pharao lebt – ihr sollt nicht von hier wegkommen, es komme denn her euer jüngster Bruder! 16 Sendet einen von euch hin, der euren Bruder hole, ihr aber sollt gefangen sein. Daran will ich prüfen eure Rede, ob ihr mit Wahrheit umgeht. Andernfalls – so wahr der Pharao lebt! – seid ihr Kundschafter! 17 Und er ließ sie zusammen in Gewahrsam legen drei Tage lang. 18 Am dritten Tage aber sprach er zu ihnen: Wollt ihr leben, so tut nun dies, denn ich fürchte Gott: 19 Seid ihr redlich, so lasst einen eurer Brüder gebunden liegen in eurem Gefängnis; ihr aber zieht hin und bringt heim, was ihr gekauft habt für den Hunger in euren Häusern. 20 Und bringt euren jüngsten Bruder zu mir, so will ich euren Worten glauben, sodass ihr nicht sterben müsst. Und sie gingen darauf ein. 21 Sie sprachen aber untereinander: Das haben wir an unserem Bruder verschuldet! Denn wir sahen die Angst seiner Seele, als er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören; darum kommt nun diese Trübsal über uns. 22 Ruben antwortete ihnen und sprach: Sagte ich’s euch nicht, als ich sprach: Versündigt euch nicht an dem Knaben, doch ihr wolltet nicht hören? Nun wird sein Blut gefordert. 23 Sie wussten aber nicht, dass es Josef verstand; denn er redete mit ihnen durch einen Dolmetscher. 24 Und er wandte sich von ihnen und weinte. Als er sich nun wieder zu ihnen wandte und mit ihnen redete, nahm er aus ihrer Mitte Simeon und ließ ihn binden vor ihren Augen. 25 Und Josef gab Befehl, ihre Säcke mit Korn zu füllen und ihnen ihr Geld wiederzugeben, einem jeden in seinen Sack, dazu auch Zehrung auf den Weg; und so tat man ihnen. 26 Und sie luden ihr Getreide auf ihre Esel und zogen von dannen. 27 Als aber einer seinen Sack auftat, dass er seinem Esel Futter gäbe in der Herberge, sah er sein Geld, das oben im Sack lag, 28 und sprach zu seinen Brüdern: Mein Geld ist wieder da, siehe, in meinem Sack ist es! Da stockte ihnen das Herz, und sie sprachen erschrocken zueinander: Was hat Gott uns angetan?

Jakob hört, dass es in Ägypten Getreide gibt. In Ägypten hatte schon einmal Abraham Brot gefunden und auch sein Vater Isaak. Beide waren dort allerdings auch in bedrohliche Situationen geraten. Not kennt kein Gebot – so schickt er die zehn Brüder dorthin, um Getreide zu kaufen. Nur den Jüngsten, Joses Bruder Benjamin lässt er nicht mitziehen.  Der Erzähler muss es nicht ausdrücklich sagen. Josef erlebt, als seine Brüder als Bittsteller und Kaufgesuchende vor ihm stehen, wie sein unreifer Jugendtraum plötzlich Wirklichkeit ist. Es ist so verführerisch, dass er nicht widerstehen kann: Er treibt sein Spiel mit ihnen. Wenn Träume wahr werden!

Ist es Genugtuung, die Josef erfüllt? Ist es ein seltsamer Charakterzug, der ihn auch entlarvt – als einen Menschen, der sich seiner Rachegefühle nur schwer entledigen kann? Es wäre ja nicht unverständlich und nachvollziehbar – die da vor ihm stehen, die haben ihm diesen harten Weg in die Sklaverei zugemutet, ohne nach ihm zu fragen. Aus Hass. Es wäre nicht außerhalb der normalen Logik, dass er sie seine Macht ganz unverblümt spüren lässt.

Aber: Josef gibt sich nicht zu erkennen. Nur als harter Mann tritt er ihnen gegenüber, mit einer Anklage, von der er selbst weiß, dass sie unsinnig ist. Dabei bleibt es nicht. Es ist ein Gnadenerweis, dass er sie dann doch ziehen lässt, mit Simeon als Geisel für ihre Rückkehr. Er lässt die Getreide aufladen und den Kaufpreis ins Gepäck dazu stecken. Dann brechen sie auf – mit dem Auftrag – Benjamin mitzubringen, um Simeon auszulösen. Man wird wohl sagen müssen: Diese Reisegruppe besteht anschließend aus tief verunsicherten Männern. 

Es ist die uralte Verführung der Macht. Sie spüren zu lassen von denen, die abhängig sind, angewiesen auf das Wohlwollen des Mächtigen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem aus dem Machtspiel Machtmissbrauch werden kann. Der zeigt sich nicht unbedingt in äußerlichen Merkmalen – er hinterlässt tiefe Abdrücke in der Seele.

Mein Gott, bewahre mich davor, mit den Ängsten anderer mein Spiel zu treiben. Bewahre mich davor, anderen zurückzuzahlen, was sie mir angetan haben, vielleicht aus Bosheit, vielleicht auch ohne zu wissen, wie sie mich treffen. Gib mir ein Herz, das nicht nachtragend reagiert, wenn sich die Chance zur Vergeltung bietet. Amen

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