Jesaja 9, 1 – 6
1Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 2 Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Wenn es wieder hell wird, regt sich neues Leben. Mir fallen die Berichte von Leuten ein, wie sie nach der langen Polarnacht um Ostern die ersten Sonnenstrahlen feiern. Mir fallen Oster-Nacht-Gottesdienste ein, wie es einem durch und durch geht, wenn sich das Licht den Weg bahnt ins Dunkel. Was für ein Jubel: Neues Licht. Ein großes Licht.
Das, was sich da „in der Natur“ ereignet, ist dem Propheten doch zugleich durchsichtig auf die Wirklichkeit Gottes hin, auf die geistliche Wirklichkeit. Von dieser Erfahrung sind ungezählte Lieder der Christenheit inspiriert und singen gegen das Dunkel in der Welt an, singen Gott herbei.
Es ist eine Eigenart des Lobes Gottes, dass es schon besingen kann, was noch nicht ist, was noch werden wird. Zu beobachten ist das auch bei den großen Lobgesängen der Offenbarung. Auch sie nehmen lobpreisend Zukunft vorweg
Das sind Bilder, die die Hörer des Jesaja unmittelbar verstehen – das Bild vom Jubel, wenn die Ernte eingebracht ist, von der Freude, wenn die Beute, gedacht ist, hoffentlich, wohl an Jagdbeute, erlegt ist und ausgeteilt wird. Bilder aus der Alltagswelt. Freude, die sich im alltäglichen Leben Bahn bricht.
3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. 4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Das ist die Begründung für den Jubel. Die Zeit der Knechtschaft ist vorbei. So wie unter Gideon (Richter 7) die Herrschaft der Midianiter über Israel gebrochen worden ist, an einem Tag, so kommt es auch zur Wende der Herrschaft der Assyrer über Juda, über ganz Israel. Wo und wann vermag Jesaja nicht zu sagen. Aber das „Dass“ sagt er an. Und wird mit seinen Worten zur Vorlage für ein Hoffnungslied, über 2000 Jahre später.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt.
Schalom Ben-Chorin, „Das Zeichen“ [1942]
Und auch das folgende Wort des großen jüdischen Mannes unserer Zeit mag Jesaja mit angestoßen haben: „Aber muss man nicht ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben in dieser Welt, und den Glauben an Gott?“ (Ben Chorin) Wenn nicht ein bisschen verrückt, dann doch aufmerksam für die Alltagszeichen, die Gott gibt, dass er auf dem Weg ist zur großen Wende.
So mag es den ersten Hörern des Jesaja vorgekommen sein: – ein bisschen verrückt. Sie hatten schließlich die Bedrohung durch die Assyrer vor Augen. Sie wussten um die Rücksichtlosigkeit und Brutalität ihrer Kriegsführung. Sie wussten auch, dass es gegen diese Kriegsmaschinerie im Grunde keinen Widerstand geben konnte. Nur die bedingungslose Kapitulation. Umso schöner: Alles vorbei. Die Gefahr besteht nicht mehr. Die Gewalt der Gewaltigen, die Macht der Mächtigen – zerbrochen. Was für eine große Vision. Was für eine irre Hoffnung.
5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; 6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Denn – das ist ja nicht nur ein Füllwort. Das ist Begründung. Das Ende der Macht der Mächtigen – die Geburt eines Kindes! Das Ende der Bedrohung durch die Feinde von außen – die Geburt eines Kindes. Ob sie in Jerusalem gedacht haben: Jetzt ist Jesaja völlig übergeschnappt. „Ein Kind verändert die Welt.“ (C. Bittlinger, 2000) Ob sie gedacht haben: das neue Kind im Haus Jesaja hat ihn jetzt völlig durcheinander gebracht, hat ihn die Sicht auf die Realität und das Verständnis für die Proportionen verlieren lassen. Seine kleine Familien-Welt hat sich verändert. Aber die da draußen doch nicht! .
Kein neuer Gideon. Aber ein Retter, ein Heiland. Einer, der die Not seines Volkes wendet. Es sind Worte wie bei der Inthronisation eines Königs. Aber darauf kommt alles an: Die Passivform ist ein Hinweis: Hier handelt Gott selbst. Mag sein, ein natürlicher, ganz normaler Vorgang. Ein Kind wird geboren, ein Sohn. Aber darin handelt Gott für sein Volk, für uns.
Und doch: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Diese Worte sprengen das Menschenmaß.Das ist auch für eine blumenreiche orientalische Sprache hoch gegriffen, zu hoch für irgendeinen König. Deshalb ist es kein Wunder, dass diese Worte über alle nachfolgenden Könige hinweg gehört worden sind als die Verheißung des einen Kommenden, des Messias, des Gesandten Gottes, auf dem sein Geist ruht. Und es ist auch nicht wirklich verwunderlich, dass die Christen sich dieser Worte „bemächtigt“ haben, um sie auf Jesus hin zu lesen, der ihnen das alles ja geworden ist: Gottes Wunder und Gottes Held, Bild des ewigen Vaters und der, in dem die Seele Frieden findet.
Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
Ernüchternd: „Wir stehen von der Verwirklichung dieser Verheißung weit entfernt. Nicht nur der Jude, der auf die Geburt des „Kindes“ noch wartet. Auch der Christ, der in der Geburt „seines“ Kindes den Beginn eschatologischer Erfüllung erkennt.“ (R. Gradwohl,) Und doch: Es ist wie eine Unterschrift unter eine Abschlusserklärung. Für diese Ansage steht der HERR Zebaoth ein. Er ist der Garant dieser Erklärung. Er wird tun, was er durch seinen Propheten ankündigt. Er macht dieses alles. So übersetzt die Septuaginta. Weil er es gesagt hat, ist es schon wie geschehen.
Zum Weiterdenken
Es ist gut zu verstehen, dass Alttestamentler warnend sagen: Diese Prophetie ist nicht gleich auf Christus hin zu lesen. Nicht gleich christlich zu vereinnahmen. Nein, es ist die Erwartung, dass es einen neuen König auf dem Thron Davids geben wird, der wirklich ein König nachdem Herzen Gottesist, der Gott mit ganzem Herzen sucht, der sein Volk zur Ruhe (Josua 1,15;23,1) bringen kann, der Recht und Gerechtigkeit so fördert, dass das Volk aufblühen kann, der das Land so ordnet, „dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen.“ (Psalm 85,11) Es ist eine Erwartung im jüdischen Volk und alle christliche Aneignung muss wissen: Juden dürfen diese Worte anders lesen als wir.
Aber: Es ist der Anspruch bis heute, der querliegt zu allem Denken in den Macht-Realitäten der Welt: Dieses eine Kind verändert alles. Nicht nur innerfamiliär- weltweit. Weil Gott selbst sich in ihm in die Welt hinein schenkt. Weil nun nichts mehr ist, wie es war. Weil er jetzt mit im Spiel ist, der in seiner Machtlosigkeit die Macht der Mächtigen entwaffnet, in seinem Erbarmen die Gnade ins Recht setzt, in seiner Hingabe den Tod zerbricht. Das ist die Herausforderung der Weihnacht: Dieses eine Kind verändert die Welt.
Ich habe diese Worte oft am Heiligen Abend im Gottesdienst gelesen, der Gemeinde vorgelesen und darin ja auch zugesagt: Darauf dürft ihr hoffen im Dunkel der Welt, dass einer kommt aus der Wirklichkeit Gottes, der die Welt erhellt, in dem Gott gegenwärtig wird unter uns, so dass wir ihn erkennen können als den Heiland, an dem Die Welt und wir gesunden. Und ich habe diese Worte dann immer als Prophetie des Jesaja auf Jesus hin geglaubt. Daran ändert sich auch heute nichts. Sie weisen auf ihn hin und sie werden sich endgültig, für immer erfüllen, wenn er wieder kommt.
Mein Gott, Worte, die Trost bringen, Licht im Dunkel sind. Hoffnungsworte, die nicht nur meiner Seele voraus sind. Worte, die das Dunkel durchdringen, Danke für Deine Worte, die sich so tief in den Glauben meines Lebens, in das Leben der Christenheit eingeprägt haben. Sie helfen uns, in dunklen Tagen und schweren Zeiten Ausschau zu halten nach dem Licht, nach dem Helfer, der allein das Heil wirken kann, das alles Dunkel der Welt verwandelt in das helle Morgenrot Deines Tages. Danke, dass ich diese alten Worte zusammenbringen darf mit Jesus, meinem Heiland, dem Heiland der Welt. Amen