Die ewige Quelle

Offenbarung 22, 1 – 5

1 Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes; 2 mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker.

            Das ist ein Bild, das der Bibelleser schon kennt. Vom Paradies-Strom redet das 1. Buch Mose. Dem Strom, der den Garten Eden umgibt und aus ihm entspringt (1. Mose 2, 10.14). Und von einem Heils-Strom weiß der Prophet Hesekiel: „Und er führte mich wieder zu der Tür des Tempels. Und siehe, da floss ein Wasser heraus unter der Schwelle des Tempels nach Osten; denn die vordere Seite des Tempels lag gegen Osten. Und das Wasser lief unten an der südlichen Seitenwand des Tempels hinab, südlich am Altar vorbei.“ (Hesekiel 47,1) Und einige Verse später lese ich: „Und wenn es ins Meer fließt, soll dessen Wasser gesund werden, und alles, was darin lebt und webt, wohin der Strom kommt, das soll leben.“ (Hesekiel 47, 8-9) Der Tempelstrom, der dem Leben dient, überall, wohin er kommt.

            Hier geht der Strom des lebendigen Wassers nicht mehr vom Tempel aus – der ist ja nicht mehr! – sondern direkt vom Thron Gottes und des Lammes. Das Wort Jesu erfüllt sich. „Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ (Johannes 4, 14) Alle Wirkungen des Tempelstromes aus der alten Schau des Propheten sind um ein Vielfaches überboten. Zwölfmal Früchte im Jahr, Blätter, die dem Heil dienen.

Nicht nur das individuelle Leben, sondern das Leben der Völker wird heil. In einer Zeit, in der so viele Völker und Nationen innerlich zerrissen sind, Gruppen sich feindlich gegenüberstehen, Hass ständig skrupellos neu genährt wird, weil sich manche davon Machtzuwachs versprechen, höre ich das noch einmal mit einer anderen Sehnsucht. Das ist etwas völlig anderes als das „gesunde Volksempfinden“, das so leicht missbraucht werden kann. Was für eine Botschaft – das Leben der Völker gesundet.

            Aus dem einen Baum des Lebens (1. Mose 3,22) werden hier viele Bäume des Lebens, entlang des Stromes.Wörtlich steht da: Holz des Lebens.Ob man das als Plural oder als Singular liest, für Bäume oder Baum, ist nicht festgelegt. Englische Übersetzungen lesen tree of life. Einen netten Kompromiss findet die Gute Nachricht: „An beiden Seiten des Flusses wachsen Bäume: der Baum des Lebens aus dem Paradies“ Woher wisst ihr das, möchte ich fragen, dass es der Paradies-Baum ist? Ausleger dürfen, müssen darüber nachdenken, dass und ob hier eine Beziehung ist. Für mich ist das zweifelsfrei. Aber es steht nicht im griechischen Text.

           Aber ob Baum oder Bäume – entscheidend ist: sie sind zugänglich für jedermann. Bäume des Lebens, die nicht an die Stelle des Kreuzes treten, den einen Baum des Lebens, den Gott mitten in der Welt aufgerichtet hat. Sie ersetzen es nicht. Aber sie stehen da und dienen dem Leben in seiner „Nachbarschaft“.  Was das Paradies versprochen hatte, hier ist es erfüllt.

3 Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein.

            Es versteht sich wie von selbst: In diesem Segens-Strom ist kein Raum mehr für den Fluch, für Verfluchtes. Nichts mehr steht unter der Drohung des Banns. Nichts mehr muss ausgeschieden werden, von Gott entfernt.Wo alles heil wird, ist kein Existenz-Recht mehr für das Unheil. Es ist endgültig zur „unmöglichen Möglichkeit“ (K. Barth), zum Nichts geworden, zunichte geworden.  

Und der Thron Gottes und des Lammes wird in der Stadt sein, und seine Knechte werden ihm dienen 4 und sein Angesicht sehen, und sein Name wird an ihren Stirnen sein.

            Jetzt konzentriert sich das Bild auf seine Mitte. Der Thron Gottes und des Lammes in der Stadt. Und die Menschen ihm gegenüber. Seine Knechte. Aber das ist nichts Knechtisches, kein Untertanentum, keine Servilität. Das ist der „Hoheitstitel“, wie ihn schon Paulus für sich reklamiert hat: „Knecht Jesus Christi“ (Römer 1,1). In diesem Knecht-sein erfüllt sich das Leben in seiner Berufung.

            So haben es Generationen aus dem Katechismus Martin Luthers als Erklärung zum 2. Artikel des Glaubensbekenntnisses gelernt: 

            Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott…
             sei mein Herr,
            der mich verlorenen und verdammten Menschen
            erlöst hat, erworben und gewonnen …..
            auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe
            und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.    EG-EKHN 806.2

            Alle werden sein Angesicht sehen. Gott ist nicht mehr unsichtbar. Gott ist nicht mehr unanschaulich. Das Wort, das das Gottesverhältnis durch die Zeit hin bestimmt hat: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ (2. Mose 33,20) gilt nicht mehr. Wir leben auf dieses unmittelbare Gegenüber zu. „Nicht mehr im Glauben erkennen, sondern unmittelbar von Angesicht zu Angesicht.“ (G. Lohfink, Am Ende das Nichts? Freiburg 2017, S. 257)

            Hatten die, die das Tier anbeten, sein Mal-Zeichen an Hand oder Stirn (13,16), so tragen jetzt die Leute Christi seinen Namen an ihrer Stirn. Den Namen, der zeigt, zu wem sie gehören. Wem sie zu eigen sind. Wer der Heiland ihres Lebens ist. Wer das Licht ihres Lebens ist. Jesus. Namen über alle Namen.

5 Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie bedürfen keiner Leuchte und nicht des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.

            Weil er, Gott, der Herr, das Licht ist, braucht es kein anderes Licht mehr. Weil Gott selbst sie erleuchtet, ist es wie von selbst taghell. Sie – das ist nicht nur die Stadt, die keine Straßenlampen mehr braucht – das sind die Knechte. Auf sie fällt das Licht Gottes und sie werden zum Widerschein seiner Herrlichkeit. Erleuchtet von außen und von innen. Ganz so, wie es der Apostel erhofft: „Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“ (2. Korinther 4,6) Da leuchtet ein Licht, in dem kein Dunkel mehr ist. Auf das kein Dunkel, kein Schatten mehr fällt.

            Und sie, die gerade zuvor noch Knechte genannt worden sind, werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit. Von einem Äon zum anderen. Was wir im Kollektengebet manchmal anbetend von Jesus sagen: „der mit dem Vater und dem Geist regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit“, das wird hier auf die Knechte übertragen. Ausgeweitet.

            Ich muss es kaum ausdrücklich sagen: Dieses Regieren ist nicht Gewaltausübung, nicht Willkür. Es ist ein Regieren, das dem Leben dient. Ein Regieren, das Maß nimmt an dem Herrschen und Regieren Christi, an seiner Königsherrschaft, die er ausgerufen und gelebt hat. „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Matthäus 20, 26-28) Es ist ein Regieren, das endlich dem gerecht wird, was am Anfang über die Bestimmung des Menschen gesagt ist. „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (1. Mose 2,15) Das ist die Bestimmung des Menschen, aller Menschen – vor dem Fall, nach dem Fall und in der neuen Schöpfung Gottes.  

Du, mein Gott, bist gut. Dir zu dienen will ich nicht aufhören, nicht in den Tagen meines Lebens und nicht in der Zeit, die keine Zeit mehr kennt. Du gibst das Leben, das in Dir seinen Grund und sein Ziel hat. Aus Dir fließt der Quell der Ewigkeit. Zu Dir zieht uns die Sehnsucht, weil wir in Dir die Fülle spüren, die uns von Anfang an verheißen ist. Immer will ich leben vor Dir, mit Dir, aus Deiner Kraft. Auf Dich hin. Amen 

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