Der lange Weg zum Kreuz

Matthäus 27, 31-44

31 Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine Kleider an und führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen. 32 Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, dass er ihm sein Kreuz trug. 33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.

Es geht auf einen langen Leidensweg – die Via Dolorosa. Durch die Stadt, hinaus vor die Stadt. Nach Golgatha – dem „Schuttabladeplatz der Zeit“. Ist es Willkür oder das Zugeständnis, dass der zuvor so fertig gemachte Jesus nicht mehr in der Lage ist, sein Kreuz allein zu tragen – sie engagieren mit sanfter, nachdrücklicher Gewalt einen Kreuzträger. Simon von Kyrene ist nur eine Nebenfigur im Geschehen. Aber er löst Gedanken aus, Erinnerungen auch. Ich bin nie von außen zu Schritten unter dem Kreuz, unter das Kreuz gezwungen worden. Ich habe in meinem Leben keinen Glaubenszwang erfahren: das musst du glauben, sonst…. Selbst das Beten zum Essen zu Hause war nicht Zwang, sondern selbstverständliche Gewohnheit. Ich musste nicht zur Beichte gehen, mich nicht irgendeinem frommen Regelwerk unterwerfen. Es hat in meinem „frommen Leben“ den einen oder anderen Rat gegeben, aber keinen Zwang. Für diese Freiheit bin ich zunehmend dankbar.    

Dann, in der Sichtweise des Hinrichtungskommandos „Business as usual.“ Dieser Ablauf ist bei römischen Truppen gekonnt, eingeübt. Da schlägt keinem der Puls schneller. Die Provokation des Pilatus, dass er auf das Kreuz den Anklagepunkt schreiben lässt – König der Juden – geht im Text fast ein wenig unter. Es wirkt, im Unterschied zum Johannes-Evangelium, als hätte es auch in der Zuschauermenge keiner wirklich wahrgenommen. 

Stattdessen wird sichtbar, wieviel Hass und Wut hier mit im Spiel sind. Es ist ein Spott, der den Spottenden im Hals stecken zu bleiben droht. Weil er nicht nur den Delinquenten als Zielscheibe hat, sondern auch Gott. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat. Es ist die Erwartung hinter diesen Spott: Wenn Gott nichts macht, dann haben wir Recht, dann ist unser Vorgehen gerechtfertigt. Es ist im Kern eine Herausforderung Gottes: wenn denn Gott auf der Seite Jesu ist, dann soll er es doch, bitte schön, jetzt zeigen. Wenn sich aber der Himmel nicht öffnet, wenn kein Wunder geschieht, dann ist die Sachlage klar: Jesus ist ein Falschmünzer des Glaubens, ein Gotteslästerer und hängt zu Recht am Kreuz. Es ist unheimlich – aber hinter ihren Worten taucht die Fratze des Versuchers auf: „Wenn du Gottes Sohn bist…“ so hatte er gesagt  und mit ihren Worten übernehmen die jüdischen Gegner Jesu die Rolle des Satans.  

Mein Gott, es ist gut, dass es das heute bei uns nicht mehr gibt: Öffentliche Hinrichtungen. Es ist gut, dass wir heute versuchen, den Nervenkitzel, den das Unglück bei Gaffern auslöst, zu unterbinden. Ich hoffen für mich, dass ich nie interessierter Zuschauer bin, wenn ein Urteil vollstreckt werden muss. Ich meide Gerichtsverhandlungen, ich meide auch öffentliche Aufläufe, weil ich mich nicht hinreißen lassen will, mit den Wölfen zu heulen. Ob das feige ist oder doch aus gesunder Skepsis geboren, muss ich nicht beurteilen. Gib Du mir, dass ich in Abstand bleibe, wenn meine Zustimmung zum Spott gesucht wird – über Dich und Deinen Weg. Amen

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