Betende Bescheidenheit

Römer 11, 33 – 36

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Das macht mir Paulus regelrecht sympathisch. Er gerät über diesem langen Gedankenweg, den er mit seinen Leserinnen und Lesern zurückgelegt hat, regelrecht ins Schleudern. In ein Schleudern, das zum Staunen wird und zum Lobpreis. In ein Staunen, das um die Begrenztheit der eigenen Einsichten und Weisheiten weiß. Es ist ja doch so, dass Paulus nur allenfalls an der Oberfläche gekratzt hat. Er weiß, dass er auch mit all diesen Worten und Gedanken nicht zum Geheimrat Gottes aufgestiegen ist.

Staunen ist so etwas wie die Grundhaltung des Glaubens. So wie ein Kind darüber staunt, sich freut, dass es geliebt wird, dass es da ist, so staunt und freut sich der Glauben über die Güte und Gnade, die er bei seinem Gott und in seinen Gaben sieht. Alles, was wir über Gott erkennen, was wir von ihm erfahren, kann nur dies eine bewirken, das Staunen, das sagt: Am Ende bin ich noch immer bei Dir. Das ist die Fülle der Gotteserfahrung: Bei ihm sein. Das ist zugleich auch die Erfüllung des Lebens. Und der Grund aller Freude.

Ich danke Gott, und freue mich wie’s Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz! habe;

Dass ich die Sonne, Berg und Meer, und Laub und Gras kann sehen,
Und abends unterm Sternenheer und lieben Monde gehen;

Ich danke Gott mit Saitenspiel, dass ich kein König worden,
Ich wär geschmeichelt worden viel, und wär vielleicht verdorben.

Gott gebe mir nur jeden Tag, soviel ich darf zum Leben.
Er gibt’s dem Sperling auf dem Dach; wie sollt er’s mir nicht geben!

                                                           M. Claudius 1777

Es ist wohl so, dass wir im Glauben nie weiterkommen als zu diesem Staunen: In ihm leben, weben und sind wir. (Apostelgeschichte 17, 28) Dieser Satz des Paulus, in Athen formuliert, steht auch hinter diesem Gebet. Wahrscheinlich ist es eine lebenslange Lernaufgabe des Glaubens, solche betende Bescheidenheit des Staunens zu lernen und sie sich zu bewahren. 

Vor Jahren – ich weiß nicht mehr wann und wo – bin ich auf den Gedanken gestoßen: Der Sündenfall der Theologie sei, dass sie aus einer knienden zu einer sitzenden Angelegenheit geworden sei. Es gibt Kirchenväter, die haben ihre Theologie nicht nur betend entwickelt, sondern als Gebet formuliert. So verstehe ich auch Paulus, wenn er plötzlich in Anbetung übergeht – damit kommt seine theologische Denkarbeit an ihr Ziel. Theologie will und soll der Anbetung Gottes dienen und soll und will in sich selbst Anbetung sein. 

Danke, Du Heiliger, Barmherziger, Du Schöpfer des Himmels und der Erde, Du vergebender Gott. Danke, dass Du Dir unsere Worte gefallen lässt. Danke, dass Du Dir auch unser schweigendes und manchmal so schwankendes Lob gefallen lässt. Danke, dass wir nicht erst dann zu Dir kommen dürfen, wenn wir Dich verstanden haben oder unser Leben Dir in allem entspricht, in Gedanken, Worten und Werken. Danke, dass wir uns Dir anbetend anvertrauen dürfen. Danke, dass Du uns einfach lieb hast, Du Vater im Himmel. Amen

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