1. Mose 46, 28 – 34
28 Und Jakob sandte Juda vor sich her zu Josef, dass dieser ihm Goschen anwiese. So kamen sie in das Land Goschen. 29 Da spannte Josef seinen Wagen an und zog hinauf seinem Vater Israel entgegen nach Goschen. Und als der ihn sah, fiel er ihm um den Hals und weinte lange an seinem Halse. 30 Da sprach Israel zu Josef: Ich will nun gerne sterben, nachdem ich dein Angesicht gesehen habe, dass du noch lebst. 31 Josef sprach zu seinen Brüdern und zu seines Vaters Hause: Ich will hinaufziehen und dem Pharao ansagen und zu ihm sprechen: Meine Brüder und meines Vaters Haus sind zu mir gekommen aus dem Lande Kanaan 32 und sind Viehhirten, denn es sind Leute, die Vieh haben; ihr Kleinvieh und Großvieh und alles, was sie haben, haben sie mitgebracht. 33 Wenn euch nun der Pharao wird rufen und sagen: Was ist euer Gewerbe?, 34 so sollt ihr sagen: Deine Knechte sind Leute, die Vieh haben, von unserer Jugend an bis jetzt, wir und unsere Väter –, damit ihr wohnen dürft im Lande Goschen. Denn alle Viehhirten sind den Ägyptern ein Gräuel.
Es klingt nach Wahl, ist aber doch keine frei Wahl. Die Region, in der sie wohnen werden, steht ihnen nicht frei. An dieser Praxis hat sich bis heute nichts geändert. Asylanten bekommen ihren Ort angewiesen.
Nach endlos langen Jahren liegen sie sich in den Armen – der totgeglaubte Sohn, der in der fernen Heimat verlorene Vater. Eine tränenerfüllte Umarmung. Jetzt hat sich Jakobs Leben doch noch erfüllt. Was er allenfalls im Reich der Toten erhoffte, eine neue Begegnung mit Josef, das widerfährt ihm – jetzt. Im Leben. Und macht ihn bereit zum Sterben. Es gibt, so der Erzähler, Augen-Blicke, in denen sich das Leben so erfüllt, dass wir bereit werden zu gehen.
Ich lese diese Szene in Goschen wie eine Frage, die sich dem Lesenden stellt: Was muss geschehen, geschehen sein, damit du gehen kannst, in Frieden, einverstanden, lebenssatt? Wie sieht die Versöhnung mit dem Leben aus, die nötig ist, damit du bereit wirst zum Abschied?
Es braucht Menschen, die Wege ebnen für die, die in ein fremdes Land kommen. Es mag ein Vorteil sein, dass Jakob und seine Söhne mit dem Vizekönig verbandelt sind, es könnte aber auch gewohnte Hierarchien in Frage stellen, weil Verluste drohen. Darum ist es wichtig, dass Josef für klare Verhältnisse sorgen will. Die Missverständnisse vermeiden helfen.
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Es gibt immer Verlierer, wenn Fremde ins Land kommen – gefühlte Verlierer, die um ihren Platz fürchten, und solche, die wirklich Platz machen müssen. Für beide braucht es klare Worte und klare Absprachen.
Danke, mein Gott, dass Du mir das Leben in der Fremde erspart hast. Danke, dass ich mir immer die Orte meines Lebens vertraut machen konnte. Danke, dass es immer Menschen gegeben hat, die Türöffner für uns am neuen Lebensort waren. Danke, dass ich niemand wegdrängen musste, um meinen Lebensplatz zu finden. Gib Du doch, dass wir denen, die es in die Fremde verschlägt, zu uns, die wir ihnen fremd sind, Luft und Raum zum Leben gönnen und öffnen. Amen