Aufatmen – er ist weggesperrt

Offenbarung 20, 1 – 10

1 Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der hatte den Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. 2 Und er ergriff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan, und fesselte ihn für tausend Jahre 3 und warf ihn in den Abgrund und verschloss ihn und setzte ein Siegel oben darauf, damit er die Völker nicht mehr verführen sollte, bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit.

            Eine Polizei-Aktion. Mehr ist nicht nötig, um dem Spuk ein Ende zu machen. Um den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und der Satan festzusetzen, braucht es nur einen Engel und seine Handschellen. Keinen der großen Erzengel. Nicht einmal der Name des Engels wird genannt. Demnach ist es keiner von den „Großen“ – Gabriel oder Michael oder… Ist das zu harmlos gedacht? Fehlt mir der Respekt vor dem Bösen?

Es ist ein Hinweis mehr darauf, dass die Offenbarung keinen Kampf zwischen Christus und dem Feind wie zwischen Gleichstarken sieht. Der Kampf ist schon längst entschieden – an Karfreitag und Ostern. Ich denke, dass Johannes uns den übergroßen Respekt, die Angst nehmen will, indem er so schreibt, was er sieht.

            Es gibt eine Heidenangst vor dem Bösen, die vergisst, dass Christus der Sieger ist. Wahrscheinlich müssen wir die Angst-Freiheit neu lernen, die sich in den alten Worten spiegelt: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!“ (1. Korinther 15,55.57)

            Eine Zeit, in der die Macht des Teufels gebannt ist. Weggesperrt. So eine Zeit kennt das Lukas-Evangelium für das Handeln Jesu. „Und als der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, wich er von ihm eine Zeit lang.“ (Lukas 4,13) Eine solche Zeit sieht der Seher nun für die ganze Welt.

            Er fesselte ihn für tausend Jahre. Das ist der Zeitraum, der den Namen „Millenium“ trägt, 1000-jähriges Reich. Um das Verständnis dieses Zeitraumes gibt es durch die Geschichte der Kirche hin immer neu Debatten. Es gab durchaus Zeiten, in den es zum Selbstverständnis der Kirche gehörte: wir sind die Gegenwart des 1000-jährigen Reiches.

Es fehlt auch in der säkularen Geschichte nicht an Versuchen, die eigene Zeit mit diesem Reich und dieser Zeit zu identifizieren, besonders krass in der Anmaßung des 1000-jährigen Reiches durch die NS-Propaganda. Das zeigt aber zugleich die Gefahren des ideologischen Missbrauchs biblischer Texte, erst recht, wenn sie Interpretations-Spielräume zulassen.

 4 Und ich sah Throne und sie setzten sich darauf, und ihnen wurde das Gericht übergeben. Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet waren um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen und die nicht angebetet hatten das Tier und sein Bild und die sein Zeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und auf ihre Hand; diese wurden lebendig und regierten mit Christus tausend Jahre.

            In dieser Zwischenzeit wird nicht nur Christus in seiner Herrlichkeit erkennbar, sondern auch die Gemeinde. Sie gewinnt Anteil an seiner Macht, an seinem Regieren. Alles, sogar den Tod haben sie auf sich genommen um des Zeugnisses von Jesus und um des Wortes Gottes willen.  Die zur Anbetung des Tieres Nein gesagt haben, zu denen wird jetzt Ja gesagt – durch ihre Einsetzung auf die Throne. Sie werden beteiligt an der Aufrichtung der Rechtsdurchsetzung Gottes, in der das Handeln aller geprüft, unterschieden wird. Das Gute belohnt. Ihr Gericht ist nicht Rache. Die selbst zu Märtyrern gemacht worden sind, zu Blutzeugen, machen jetzt nicht andere zu Blutzeugen. Ich verstehe ihr Richten und Regieren so: Sie haben Anteil am Leben Jesu und geben es weiter. Ungehindert. 

            Es geht ja darum, in der Spur Jesu zu bleiben. Er sagt „Ich bin nicht gekommen, dass ich die Welt richte, sondern dass ich die Welt rette.“ (Johannes 12,47) Sein Richten ist: das Leben anbieten, zum Leben rufen, in die Gemeinschaft mit dem Vater rufen. In die Gemeinschaft mit sich selbst stellen. Wer diesem Ruf folgt, der gewinnt das Leben. Wer ihm nicht folgt, schließt sich selbst aus. Von der Gemeinschaft mit Jesus, von dem Weg, auf der uns nach Hause führen will. Von daher verstehe ich auch das Richten und Regieren. Es ist die Fortsetzung des Rufes zum Leben mit Gott. 

 5 Die andern Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis die tausend Jahre vollendet wurden. Dies ist die erste Auferstehung.

            Es ist ein rätselhafter Zwischensatz, vermutlich dem Versuch geschuldet, die Toten in ihrem unterschiedlichen Geschick zu unterscheiden.  Da sind die, die sich zu Jesus bekannt haben – sie werden lebendig und sie regieren mit ihm. Dann gibt es andere Tote, die nicht wieder lebendig werden für diese Zeit der tausend Jahre. Wer diese anderen sind – darüber gibt es eine merkwürdige Fehlanzeige. Es mag sein, es ist Demut angesagt auch im Verstehen- und Erklären-Wollen: Wir wissen nicht alles.

6 Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über diese hat der zweite Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre.

            Es folgt die fünfte Seligpreisung. Sie erklärt sich als Teilhabe an der ersten Auferstehung, als die Einsetzung als Priester Gottes und Christi. In einer Heilszeit von tausend Jahren. Sozusagen: für immer.

            Wenn es eine erste Auferstehung gibt, gibt es auch eine zweite? Was ist mit dem Ausdruck gemeint? Vielleicht ist es falsch, so zu fragen? Dreimal taucht in dem Abschnitt 20, 1 – 7 diese Zeit auf, tausend Jahre. Was ist das Ziel dieser Rede vom tausendjährigen Reich? Jedenfalls kein Vertrösten und keine Flucht ins Jenseits. In dieser Welt will Gott sein Heil aufrichten. 

            Ich spüre: wir haben hier Bildworte vor uns, nicht die Reportage von einer irdisch-himmlischen Zeitreise. Es sind Bilder von einer großen seelischen Kraft. Diese Bildersprache jedoch eignet sich nicht zur Entwicklung lehrhafter Sätze. Sie ist auch – in meinen Augen – Falsch verstanden, wenn man aus ihr einen Zeitablauf herauslesen will. Sie will das Herz erreichen, trösten, ermutigen, Mut machen. Es reicht, dass sie das unabwendbare Ende aller Macht des Bösen ansagt. Wer glaubt, mit ihrer Hilfe den Fortgang der Weltgeschichte klären und erklären zu können, glaubt mehr als er um seiner Seelen Seligkeit willen glauben muss.

7 Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis 8 und wird ausziehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde, Gog und Magog, und sie zum Kampf zu versammeln; deren Zahl ist wie der Sand am Meer. 9 Und sie stiegen herauf auf die Ebene der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Und es fiel Feuer vom Himmel und verzehrte sie.

            Noch einmal Kampf. Der Satan wird losgelassen werden – das deutet nicht auf eine Befreiung durch eigene Macht aus dem Gefängnis. Es scheint fast so, als müsste das so sein, als wäre es eine Notwendigkeit. Er muss losgelassen werden, damit er offenbar wird, enthüllt in seinem Wesen und dann – ein für alle Mal – gerichtet. Die Bilder, die Johannes hier sieht, haben ihr „Vorspiel“ beim Propheten Hesekiel. Von dort kommen die Namen Gog und Magog.

Es sind Worte Gottes, die der Prophet an Gog, den Fürsten im Lande Magog richtet: „Nach langer Zeit sollst du aufgeboten werden. Zur letzten Zeit wirst du in ein Land kommen, das dem Schwert entrissen ist, das aus vielen Völkern gesammelt ist, nämlich auf die Berge Israels, die lange Zeit verwüstet gewesen sind, und nun ist es herausgeführt aus den Völkern, und sie alle wohnen sicher. …Am Ende der Zeit wird das geschehen. Ich will dich aber dazu über mein Land kommen lassen, dass die Völker mich erkennen, wenn ich an dir, Gog, vor ihren Augen zeige, dass ich heilig bin.“ (Hesekiel 38, 8.16)

            Entscheidend bei Hesekiel und entscheidend auch hier: diese mythischen Gestalten sind Werkzeuge in Gottes Hand. Sie haben keine eigene Macht, so mächtig sie auch sind. Wann immer in unseren Tagen Konflikte hochstilisiert werden zu Kämpfen zwischen der „Achse des Bösen“ und den „Willigen zum Guten“ spielen diese Bilder aus der Offenbarung eine Rolle und werden propagandistisch missbraucht!

Wieder, wie schon in 19, 19 – 21, liegt dem Seher nichts an einer Schilderung der Schlacht. Man hat den Eindruck: Es kommt gar nicht zu einer Schlacht. Da werden Truppen gesammelt, wird ein Heerlager bezogen, ein Ring um die geliebte Stadt gezogen. Aber dann bricht der Angriff in sich zusammen, noch bevor er überhaupt beginnen konnte. Feuer fiel vom Himmel und verzehrte sie. Es ist das Feuer vom Himmel, das das Ende des Heeres bringt, ohne dass es zu einem Kampf gekommen wäre.

Über die Zeiten hinweg – das erinnert an das Ende der Belagerung von Jerusalem: „Da fuhr aus der Engel des HERRN und schlug im Lager der Assyrer hundertfünfundachtzigtausend Mann. Und als man sich früh am Morgen aufmachte, siehe, da lag alles voller Leichen. Und Sanherib, der König von Assyrien, brach auf, zog ab, kehrte zurück und blieb zu Ninive. Es begab sich aber, als er anbetete im Hause Nisrochs, seines Gottes, erschlugen ihn seine Söhne Adrammelech und Sarezer mit dem Schwert, und sie flohen ins Land Ararat.“ (Jesaja 37. 36-38) 

Wie anders hier – keine Kampfszenen. Vor allem aus inhaltlichen, theologischen Gründen liegt dem Seher nichts an der Schilderung eines Kampfes. Er hat keinen Eigenwert. Weil allein das zählt, dass die Macht des Tieres zu Ende ist.

Vielleicht aber muss man sich, um zu verstehen und für die eigene Zeit zu deuten, was hier beschrieben ist, von den Schlachtenbildern lösen. Auch von denen im eigenen Kopf. Ich sehe wie von selbst die letzten Schlachten zwischen Saurons Heeren und den tapferen Kämpfern aus Mittelerde, mit Gandalf als dem Helfer auf dem weißen Pferd.  Das alles sind nur Bilder aus dem „Herrn der Ringe“.

Näher liegt mir für unsere Zeit, in diesen Worten den Kampf der Geister zu sehen. Keinen Dämonenkampf, sondern eben einen Kampf um das, was in unseren Gesellschaften gelten soll. Da stehen Gog und Magog für die rücksichtslose Machtgier, die über Leichen geht, für den Willen zur Herrschaft, der anderen nur noch die Unterwerfung als Wahl lässt, der versucht, um jeden Preis zu siegen und zu knechten. Können wir dieser Denkweise standhalten oder manche wir mit? Ist es möglich, anders zu leben, frei, eigenen Maßstäben treu, auch wenn sie nicht mehrheitsfähig sind? Der Achtsamkeit verpflichtet, von Gerechtigkeit geleitet, darauf aus, dass Erbarmen wichtiger ist als alle Siege? Da standzuhalten, geht wohl nur, wenn jemand innerlich ganz frei ist, auch wenn er/sie sich um Macht-Positionen bewirbt. Nur wer weiß, dass er auch in der Niederlage noch er/sie selbst ist, wird nicht um jeden Preis siegen müssen.

Am Ende werden die Machtgierigen hungern müssen – auf ewig – weil die erreichte Macht nie genügt, nicht sättigt. Satt werden wir allein an der Gerechtigkeit Gottes, der Durst des Lebens wird gestillt an der Treue Gottes.   

10 Und der Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

               Die eigentliche Antriebskraft hinter allem hat auch ausgespielt. Hinter der Formulierung im Passiv ist verborgen, dass dies Gottes Werk ist – das Wie spielt erneut keine Rolle. 

            In seinem großen Auferstehungskapitel sagt Paulus einen auf den ersten Blick unanschaulichen Satz: „Wenn aber alles ihm (ich ergänze: dem Sohn) untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem.“ (1. Korinther 15, 28) Wenn Gott alles in allem ist, ist kein Raum mehr für die dramatischen Bilder. Braucht es keine Kampfgeschichten mehr. Genau darauf aber läuft die Offenbarung ja zu.   

Zum Weiterdenken

In der Geschichte der Kirche hat diese Passage gewaltige Folgen gehabt. Auf das tausendjährige Reich haben die Christen der Anfangszeit gehofft. Sollte es doch ein Reich der Freiheit von alle Angst vor Verfolgung sein. Als die Kirche selbst groß und mächtig wurde, hat sich das Blatt gewendet. Die früher Verfolgten verfolgten nun ihrerseits mit oft erschreckender Härte ihre früheren Verfolger. Für „Heiden“ wurde es im römischen Reich mit dem Christentum als Staatsreligion ungemütlich. Und es hat sich oft wiederholt – bei Katharern, Hussiten, Hutterern, Mennoniten – sie alle, die auf das Reich der Freiheit hofften, verfolgt, auch durch die Kirche selbst. Kein Ruhmesblatt.  

Dieser Vorgang der Umkehrung wiederholt sich bis auf den heutigen Tag. Beispielhaft: Früher haben manche homophile Menschen, schwul oder lesbisch, als krank diskriminiert, weil sie der herrschenden psychologischen Lehrmeinung gefolgt sind. Wer heute noch dazu steht, dass er mit der Gleichgeschlechtlichkeit und der „Ehe für Alle“ Schwierigkeiten hat, wird plötzlich als homophob diskreditiert und diskriminiert. Man wird gewissermaßen genötigt, dem Dictum des früheren Berliner OB Wowereit zuzustimmen: „Und das ist auch gut so.“ Wehe, wer nicht zustimmt. Auch innerhalb der Kirchen. Eine von dieser Lesart abweichende Auslegung entsprechender Passagen in AT und NT, besonders bei Paulus, droht per Synodal-Dekret untersagt zu werden. Abweichler sind unerwünscht, zu allen Zeiten. Sie stören nur.  

Heiliger, ewiger Gott, Es ist gut, dass wir nicht auf eine allmächtige Kirche hoffen und warten müssen. Kein ewiges Reich der Kirche, in dem sie das Denken vorschreiben kann und Glauben diktieren, Unsere Ohnmacht bewahrt uns vor dem Missbrauch der Macht. Umso mehr schmerzt Machtmissbrauch durch einzelne Kirchenleute.

Ich danke Dir, mein Heiland, dass wir uns selbst nicht ermächtigen müssen, nicht durchsetzten müssen. Wir dürfen drauf vertrauen, dass Du mit uns ohnmächtigen Leuten ans Ziel kommen wirst – auf Deinem Weg. Alle Furcht vor einem Scheitern Deiner Liebe wird überholt von ihr. Dafür danke ich Dir. Amen

1 Kommentar zu „Aufatmen – er ist weggesperrt“

  1. Lieber Ulrich,
    ich lese gerade Deine Sätze über Offb 20,10 und über homophile Menschen. Ich danke Dir dafür, dass Du Dich dagegen wehrst, wie LSBTIQ- Befürworter sich heute unerbittlich durchsetzen gegen alle, die nicht ihrer Meinung sind. Ich halte es für möglich, dass sich die öffentliche Meinung auf diesem Gebiet noch einmal ändert. Und ich finde es gut, dass Gott, der Vater im Himmel, das letzte Wort über alle Geschehnisse sagt.
    Herzliche Grüße an Ruth und Dich
    von Heidi und mir
    Euer / Dein Hartmut

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