Ans Ziel – nur miteinander!

Offenbarung 21, 9 – 14

9 Und es kam zu mir einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den letzten sieben Plagen hatten, und redete mit mir und sprach: Komm, ich will dir die Frau zeigen, die Braut des Lammes.

            Das ist ein Wechsel. Hatte dem Seher zuvor ein Engel das Gericht über die Hure gezeigt (17,1), so kommtjetzt einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen mit den letzten sieben Plagen haben, um ihm die Braut des Lammes zu zeigen. Das ist ein Kontrast, auf den die Offenbarung Wert legt. Die Engel mit den Schalen sind nicht nur Unglücksboten, so wenig sie auch nur immer netter Begleitschutz sind.  

Nicht irgendeine Frau sieht der Seher. Die neue Stadt in der Gestalt einer Frau. Wiedergutmachung aller Missachtung von Frauen durch die Geschichte hindurch. Hätte die Christenheit das nicht deutlicher hören müssen, die sich oft, zu oft darauf kapriziert hat, dass die Frau, die Urmutter Eva der Anfang aller Schuld ist. Hätte sie es nicht deutlicher lesen müssen, dass am Ende des Weges die Stadt- Frau als die Braut des Lammes neu gewürdigt wird? 

            Jerusalem wird jetzt, in dieser Vision sichtbar als die Stadt, als die es schon immer gemeint war. Von Gott her.  Darum hat sie die Herrlichkeit Gottes. Sie ist nicht mehr „nur“ Wohnort des Namens Gottes, nicht nur Ort der Anbetung Gottes. Sie gewinnt Anteil an seiner Herrlichkeit, seinem Wesen. Die Schönheit der Stadt spiegelt nur die Schönheit Gottes. Denn Gott ist herrlich, voller Glanz und Licht. Gott ist schön. 

            Lobe den HERRN, meine Seele!

            HERR, mein Gott, du bist sehr herrlich;

du bist schön und prächtig geschmückt.

Licht ist dein Kleid, das du anhast.

            Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;

            du baust deine Gemächer über den Wassern.

Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen

und kommst daher auf den Fittichen des Windes,

            der du machst Winde zu deinen Boten

            und Feuerflammen zu deinen Dienern.         Psalm 104, 1 – 4

10 Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott, 11 die hatte die Herrlichkeit Gottes;

            Das ist deutlichAnklang an andere biblische Worte. Auch Jesus wurde auf einen sehr hohen Berg geführt (Matthäus 4,8) – zur Versuchung. Auch da geschieht alles in der Regie des Geistes. Im Geist – das ist wiederholt der Schlüssel für die Visionen des Sehers. Er empfängt sie im Geist. Der Geist öffnet die Augen für die sonst unsichtbare Wirklichkeit.  

            Er sieht das neue Jerusalem, nicht mehr die geschundene Stadt. Nicht mehr das zerstörte Jerusalem. Jetzt ist es die Braut in einer überirdischen Schönheit. Aber immer noch Jerusalem. Das Festhalten an diesem Namen ist ein Signal: Es geht um Kontinuität. Es geht in diesen Worten nicht um Geographie. Es gibt – so denke ich – keine Heilsgeographie, die wir in unsere Landkarten einzeichnen könnten. Daran erinnert der Satz: „Sowohl von Jerusalem wie auch von Britannien aus steht der Himmel in gleicher Weise offen, denn das Reich Gottes ist in euch.“ (Hieronymus) Die neue Schöpfung Gottes geht nicht an der „alten Welt“ vorbei. Sie nimmt, darauf wird später noch zu schauen sein, die alte Welt auf.

            Noch einmal: die Herrlichkeit Gottes. Diese Stadt strahlt nicht aus dem eigenen Glanz heraus. Sie strahlt aus dem Licht heraus, das auf sie fällt. Sie reflektiert das Licht der Herrlichkeit Gottes. Es ist, bezogen auf die Stadt Gottes, was Paulus bezogen auf die einzelnen Christinnen und Christen formuliert: „Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.“ (2. Korinther 4, 6-7) In uns (!) spiegelt sich Gottes Herrlichkeit. Darauf, dass das ungebrochen Wirklichkeit über der ganzen Schöpfung wird, läuft die Geschichte Gottes zu. Dieses Ziel sieht Johannes vor seinen Augen.   

Ihr Licht war gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall; 12 sie hatte eine große und hohe Mauer und hatte zwölf Tore und auf den Toren zwölf Engel und Namen darauf geschrieben, nämlich die Namen der zwölf Stämme der Israeliten: 13 von Osten drei Tore, von Norden drei Tore, von Süden drei Tore, von Westen drei Tore. 14 Und die Mauer der Stadt hatte zwölf Grundsteine und auf ihnen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes.

            Es fällt schon hier auf und wird den ganzen Schluss des Buches bestimmen: Plötzlich hat der Seher Zeit. Er, der vorher oft geradezu hektisch von Bild zu Bild gesprungen ist, dessen Visionen wie ein Sturzbach geflutet sind, er hat auf einmal Zeit zu sehen. Die Entscheidungen sind alle gefallen. Jetzt kann das Auge sich ausruhen, ruhen in den Bildern des Heils. Ruhen in himmlischer Ruhe und Feierlichkeit. 

            Eine hellerleuchtete Stadt sieht Johannes. Sie strahlt von einem Licht, das gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall ist. Mich erinnert das an das „gläserne Meer“ (4,6) aus der Thronsaal-Vision. Und, das mag schon ein erster Hinweis auf die „Lichtquelle“ der Stadt sein. In dieser Vision heißt es: „Auf dem Thron saß einer. Und der da saß, war anzusehen wie der Stein Jaspis und Sarder; und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen wie ein Smaragd.“ (4, 2-3) Das Licht dieser Stadt kommt von ihm, von ihm allein. Mehr Glanz geht nicht. 

            Zwölf Tore, zwölf Engel und die Namen der zwölf Stämme der Israeliten. Das Wort der Schrift wird erfüllt. „Und dies sollen die Ausgänge der Stadt sein: an der Nordseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: das erste Tor Ruben, das zweite Juda, das dritte Levi; denn die Tore der Stadt sollen nach den Namen der Stämme Israels genannt werden. So auch an der Ostseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: nämlich das erste Tor Josef, das zweite Benjamin, das dritte Dan. An der Südseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen auch drei Tore: das erste Tor Simeon, das zweite Issachar, das dritte Sebulon. So auch an der Westseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: das erste Tor Gad, das zweite Asser, das dritte Naftali. So soll der ganze Umfang achtzehntausend Ellen sein. Und alsdann soll die Stadt genannt werden »Hier ist der HERR«.“ (Hesekiel 48, 30-35) Eine Stadt, die offen ist und doch zugleich deutlich „definiert“, durch ihre Mauern, durch ihre Tore, durch die Namen.

            Es ist eines der großen Anliegen der Offenbarung, die Vollendung des Reiches Gottes zugleich zu zeichnen als ein ans Ziel Kommen Israels, des Bundesvolkes von Anfang an – und ein ans Ziel Kommen der Gemeinde des Lammes. Diese Gemeinde wird bestimmt, erkennbar durch die Namen auf den Grundfesten der Stadt, auf den Fundamenten. Die Namen der Apostel des Lammes. Sie sind bekannt, so bekannt wie die Namen der zwölf Stämme der Israeliten. Deshalb müssen beide Namenslisten hier nicht aufgeführt werden. Im Reich Gottes werden sie eins sein – „eine Herde und ein Hirte.“ (Johannes 10,16) So ist die Anlage dieser Stadt ein Baugeschichte gewordenes Zeugnis der Versöhnung.   

Zum Weiterdenken

Es ist ein überaus schmerzhafte Frage: Warum waren wir in der Christenheit so wenig dazu fähig, aus dieser Vision heraus einen hoffnungsvollen Umgang mit Israel zu entwickeln? Warum ist es uns nicht gelungen, diese Hoffnung zu bewahren und daraus eine gemeinsame Hoffnung zu schöpfen? Warum hat es so oft am Respekt vor dem alten Gottesvolk gefehlt, wie es sich in manchen Reliefs der „Judensau“ an christlichen Kirchen zeigt? Hätte die Bewahrung dieser Vision nicht konkret Pogrome und Gräueltaten und ihre Rechtfertigung durch Christen verhindern können, wenn wir sie nur ernst genommen hätten als die Zielangabe Gottes? 

            Es ist die Botschaft, die wir oft, jahrhundertelang, als Kirchen überlesen und missachtet haben, von der ich inzwischen glaube, dass man so lesen muss: Nur in diesem Miteinander werden sie an das Ziel kommen, das Bundesvolk des Anfangs und das Bundesvolk des Lammes. Allein erreicht kein Volk das Ziel, so wie auch kein Mensch im Alleingang ans Ziel Gottes kommt. 

Mein Gott und Herr, Deine Herrlichkeit leuchtet auf im Licht der Sonne, im Schein des Mondes. Deine Herrlichkeit ist unfassbar Deine Stadt unfassbar schön. Es ist wie ein Traum. Aus dem wir erst dann erwachen werden, wenn diese die Zukunft da ist. Deine Herrlichkeit, Gott, die alles Denken übersteigt. Ich bete Dich an. Amen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert