Alles kommt noch einmal zur Sprache

Offenbarung 20, 11 – 15

11 Und ich sah einen großen, weißen Thron und den, der darauf saß; vor seinem Angesicht flohen die Erde und der Himmel, und es wurde keine Stätte für sie gefunden.

            Johannes sieht einen großen, weißen Thron. Ist das jetzt eine Wiederholung der Schauung aus dem himmlischen Thronsaal? „Ein Thron stand im Himmel und auf dem Thron saß einer.“ (4,2) Aber im Unterschied zu dieser Schauung hier kein Wort der Beschreibung des Thronenden, auch kein Wort darüber, wo dieser Thron steht. Alles ist wie schwebend. Aber so von Majestät erfüllt, dass sogar die Erde und der Himmel flohen, und es wurde keine Stätte für sie gefunden. Sie enden in der Ortlosigkeit. Wie man sich das denken, gar vorstellen soll – darüber gibt es nichts zu sagen. Nur so viel ist unübersehbar: Hier wird die Endlichkeit des Alls behauptet. Himmel und Erde sind nicht ewig.  

            Die Passage erinnert in ihrem Kern an alttestamentliche Worte. „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“ (2, Mose 33, 20 -23) Niemand kann der unverhüllten Majestät Gottes gegen treten. Niemand und Nichts kann ihm standhalten

12 Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehen vor dem Thron, und Bücher wurden aufgetan. Und ein andres Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken.

            Das ist die Folge dieser Flucht von Himmel und Erde: Gott allein bleibt – und ihm gegenüber: Menschen. Dem Thron gegenüber stehen die Toten, Groß und Klein. Die Menschheit. Aber nicht als gestaltlose Masse. Groß und Klein. Ich ergänze: Arm und Reich, Jung und Alt, unzeitig früh gestorben und nach einem erfüllten Leben gegangen, gewaltsam zu Tode gebracht und friedlich eingeschlafen. 

            Alle werden konfrontiert mit ihrem Leben. Sehen noch einmal, hören noch einmal, was war. Glück und Scheitern, Schmerz und Freude, Offenkundiges und Verborgenes. „Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie geredet haben.“ (Matthäus 12,36) Es zählt nicht, ob wir etwas für nebensächlich halten, belanglos. „Es bleibt nichts vergessen. Es kommt alles noch einmal zur Sprache.“ (H. Gollwitzer) Das ist Drohung und Trost in einem. Drohung für das Unrecht und die Täter, Trost für die Opfer.   

            Es ist eine Differenzierung, die man übersehen kann. Da sind auf der einen Seite die Bücher, in denen Protokoll geführt worden ist. Taten und Untaten, Werke und Versäumnisse, Worte und ungesagte Worte. Mit dem, was dort verzeichnet ist, werden wir alle konfrontiert.  Ausnahmslos – auch wir Christen und Christinnen. Und auf der anderen Seite das eine Buch. Im Buch des Lebens stehen nur Namen – aufgehoben für Zeit und Ewigkeit. Auf dieses Buch weist wohl das Wort Jesus hin: „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ (Lukas 17,20) Das Buch des Lebens – Bild für das Gedächtnis Gottes. Niemand hat darauf Zugriff als er allein.

Es gibt das Denkmal, das diese Worte spiegelt, das Kinder-Mausoleum Yad Vaschem. Unaufhörlich werden die Namen der Kinder gelesen, ausgesprochen, die die Nazis auslöschen wollten. Vor Jahren war ich dort, habe die Namen gehört und ich werde diesen Eindruck ein Leben lang nicht vergessen können. auch nicht vergessen wollen. Wie viel weniger wird Gott unsere Namen vergessen.

            Auch das ist wichtig – und für evangelische Ohren schwer zu hören: Die Toten wurden gerichtet nach ihren Werken. In der Auseinandersetzung mit einer berechnenden Werkfrömmigkeit haben auch evangelische Theologen allzu oft das Kind mit dem Bad ausgeschüttet.Daraus ist leicht einmal der Reflex geworden: Auf die Werke kommt es gar nicht an. Sie zählen nicht. Wie anders klingt das dann doch im Mund Jesu: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel.“ (Matthäus 7,21) Der Wille Gottes will getan werden!

            Bei Paulus lese ich: „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird’s klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.“ (1. Korinther 3, 11 – 15) Wir haben wohl zu früh aufgehört zu lesen, wenn wir nur den ersten Satz gelesen haben. Paulus kennt eine richterliche Konfrontation auch der Christen mit dem, was sie getan haben, sich geleistet und geleistet haben. Seine Worte sind nahe bei dem, was Johannes hier sieht.

            Was mich beschäftigt und mich fragen macht: Es wirkt, als wäre ein überdimensionaler Gerichtssaal eröffnet. Aber niemand auf der Anklagebank und der Richterbank ist erkennbar. Alles ist irgendwie gestaltlos – als kämen die Stimmen der Anklage aus dem Off. Aus dem leeren Raum. Das verleiht dem ganzen Vorgang die Atmosphäre eines technischen Ablaufs und erzeugt eine erschreckende Kälte. Man möchte frieren.

            Wie anders ist mein Bild vom Gericht, das mir auch die Angst nimmt: „Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“ sage ich allsonntäglich und glaube: Ich werde im Gericht dem gegenüber stehen, der mein Retter ist. Der mein Richter ist und mein Retter. Der sich am Kreuz hingegeben hat, damit er die Welt rette. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Johannes 3, 16-17) Das ist meine verwegene Hoffnung: Sein Richten wird mir Rettung sein.  Darum kann ich das alles, was hier steht, furchtlos und angstfrei lesen, weil ich den Retter als den Richter glaube, den Richter als den Retter.  

13 Und das Meer gab die Toten heraus, die darin waren, und der Tod und sein Reich gaben die Toten heraus, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. 14 Und der Tod und sein Reich wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der zweite Tod: der feurige Pfuhl.    

Erde und Himmel haben keinen Ort für ihre Flucht gefunden. Dem korrespondiert als Gegenbewegung: Auch für die Toten sind Tod und Meer kein bergendes Fluchtziel. Die Toten kehren zurück, zurückgeholt. Ausdrücklich ist festgehalten: Gerichtet, jeder nach seinen Werken. Das ist Rückgriff auf ein Denken, wie es in Israel seit den Zeiten der Weisheit fest etabliert ist: Jedem Tun folgt ein Ergehen, kein Tun bleibt folgenlos- es trägt sein Gericht, sein Urteil schon in sich. So sind die Gerichte Gottes gerecht – sie entsprechen dem eigenen Tun.

Am Ende verliert der Tod seine alles umgreifende Macht. In dieser Passage greift der Seher Bilder auf, die in der griechischen Umwelt geläufiger sind als in biblischen Texten.

15 Und wenn jemand nicht gefunden wurde geschrieben in dem Buch des Lebens, der wurde geworfen in den feurigen Pfuhl.

            Gegen das letzte Urteil, das Urteil Gottes gibt es keine Revision. Wohl aber die Hoffnung: Der Tod ist vernichtet. Er hat alles Recht verloren. Ob dann nicht am Ende doch „die Hölle leer stehen wird?“ (Paul Schütz) Ich weiß es nicht. Es steht mir nicht zu, seinem Retten Grenzen zu setzen und es steht mir auch nicht zu, ein grenzenlosen Retten und einen Verzicht auf alles Gericht einzufordern.

Zum Weiterdenken

Ich lese diese Sätze über den feurigen Pfuhl und den zweiten Tod wie ein fremdes Wort. Und halte mich an das Wort Jesu: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ (Johannes 6,37) Und glaube mich eingeschrieben in dem Buch des Lebens, eingezeichnet in seine Hände, sein Gedächtnis und so – durch ihn – aufgehoben in Zeit und Ewigkeit. 

Du, mein Gott und himmlischer Vater, in Deine Deinen Hände berge ich mich, weil du mich durch Jesus dazu gerufen hast. In Deinen Händen glaube ich uns geschützt, gehalten, gut aufgehoben. Deine Hände sind – Zufluchtsort in der Zeit, Zufluchtsort über alle Zeit hinaus. Weil du Dir treu bleibst in deinem Halten und Erbarmen. Darauf traue ich – jeden Tag meines Lebens neu. Du wirst zu uns halten im Gericht, Jesus. Dafür danke ich Dir. Amen 

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