Was für ein Zwischenruf!

Jesaja 2, 6 – 22

6 Ja, du hast dein Volk, das Haus Jakob, verstoßen; denn sie sind den Sitten des Ostens verfallen, und es gibt Zeichendeuter wie bei den Philistern, und Kinder von Fremden haben sie mehr als genug. 7 Ihr Land wurde voll Silber und Gold, und ihrer Schätze war kein Ende; ihr Land wurde voll Rosse, und ihrer Wagen war kein Ende. 8 Auch wurde ihr Land voll Götzen; sie beten an ihrer Hände Werk, das ihre Finger gemacht haben. 9 Aber gebeugt wurde der Mensch, gedemütigt der Mann. Vergib ihnen nicht!

Es ist jetzt wie ein schriller Misston, der auf die große Vision folgt. Wie kann einer nur so wechselhaft sein in seinen Worten? Meldet sich hier Fremdenfeindlichkeit? Kinder von Fremden haben sie mehr als genug. Es geht nicht um reale Kinder. Einmal mehr ist es Symbolsprache – es geht um die Übernahme von Denkweise, von Glaubenshaltungen, die als Fremdimporte angesehen werden. Diese neuen Denkweisen werden gehätschelt wie Kinder und es ist übertrieben und falsch wie das Hätscheln von Kindern.

Es ist ein harte Feststellung, in der auch Schmerz mitschwingen mag: du hast dein Volk, das Haus Jakob, verstoßen. Das ist Gottes Antwort auf eine Erfolgsgeschichte, weil Gott nicht nach dem Erfolg fragt, nicht nach der Prosperität, sondern nach der Treue! Israel hat sich importiert, was es sich als Hilfen erwartete, was Aufschwung bringen sollte – Silber, Gold, Rosse, Wagen. Und wie nebenbei auch die Praktiken, die Zukunft sichern sollten – Zeichendeuter, Götzen.

Die Kehrseite der Erfolgsgeschichte – Menschen, die gekrümmt sind. Menschen, denen das Rückgrat gebrochen ist. Menschen, die ausgebrannt sind. Es ist ein unheimliches Gesetz – nicht nur für Israel, nicht nur für damals: Wer sich nicht vor Gott beugen will, der wird sich vor den Werken seiner Hände bücken, sich krumm legen bis zum bitteren Ende – nicht mehr zu können.

10 Geh in die Felsen und verbirg dich in der Erde vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät! 11 Denn alle hoffärtigen Augen werden erniedrigt, und die stolzen Männer müssen sich beugen; der HERR aber wird allein hoch sein an jenem Tage.

            Das ist blanke Ironie – Das Volk, das sich so sicher fühlt, wird aufgerufen, nach sicheren Orten zu suchen. Um zu erfahren: Es gibt kein Versteck! Aus der Hoffnung auf Verbergen wird Schrecken. Gott ist keine Zuflucht mehr; die ist in den magischen Praktiken vertan und ohne Gott ist keine Zuflucht mehr. Nirgendwo

12 Denn der Tag des HERRN Zebaoth wird kommen über alles Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, dass es erniedrigt werde: 13 über alle hohen und erhabenen Zedern auf dem Libanon und über alle Eichen in Baschan, 14 über alle hohen Berge und über alle erhabenen Hügel, 15 über alle hohen Türme und über alle festen Mauern, 16 über alle Tarsisschiffe im Meer und über alle kostbaren Boote, 17 dass sich beugen muss alle Hoffart der Menschen und sich demütigen müssen, die stolze Männer sind, und der HERR allein hoch sei an jenem Tage. 18 Und mit den Götzen wird’s ganz aus sein. 19 Da wird man in die Höhlen der Felsen gehen und in die Klüfte der Erde vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde.

Es kommen Schreckenstage. alles, was Halt bieten könnte zerbricht. Es sind die Naturgewalten, die sich austoben, von Norden kommend nach Süden. Es trifft die Natur und es trifft die Bauwerke, die Sicherheiten bieten sollen. Es trifft das Meer und das Land. Aber es ist nicht einfach nur Naturgewalt, die sich Bahn bricht – der Tag des HERRN Zebaoth wird kommen. Es ist ein Gerichtstag Gottes, der sein Volk heimsucht. Nichts wird an diesem Tag helfen und die Ohnmacht der Götzen wird offen zu Tage treten. Und mit den Götzen wird’s ganz aus sein. sie werden entlarvt als das, was sie sind: Nichts. 

Zweimal, nahezu wortgetreu gleich: der HERR aber wird allein hoch sein an jenem Tage. Das erinnert an die Vision vom alles überragenden Berg. Zweimal auch: sich verbergen in der Erde vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät! Wenn Gott sich offenbart, seine Macht zweigt, werden die Verhältnisse zurecht gerückt. Wird menschliche Größe als da sichtbar, was sie ist: menschliche Größe. Mehr nicht. Im Vergleich zur Majestät Gottes ein Nichts. Vor seiner Majestät verblasst alles.

Hinter solchen Sätzen steht keine Geringschätzung menschlicher Taten, Leistungen, Größe. Menschlicher Kunst. Ich habe den Pergamon-Altar gesehen und bestaunt. Seine Größe, seine Schönheit und Pracht. Unglaublich schön, ein Zeichen tiefer Religiosität. Zugleich eine Monument vergangener Größe und Pracht, gezeichnet vom „Stirb und werde!“ Und in meinen Augen doch ein nichts angesichts der Größe und Schönheit Gottes.

20 An jenem Tage wird jedermann wegwerfen seine silbernen und goldenen Götzen, die er sich hatte machen lassen, um sich vor Mäusen und Fledermäusen niederzuwerfen, 21 damit er sich verkriechen kann in die Felsspalten und Steinklüfte vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde.

Es ist fast wie ein Akt der Befreiung, wenn die Menschen wegwerfen, wovon sie sich Hilfe versprochen hatten. Es ist nicht so einfach, es dauert lange, bis man sich von den Götzen befreien und lossagen kann. 

22 So lasst nun ab von dem Menschen, dessen Odem nur ein Hauch ist; denn für was ist er zu achten?

Es scheint, dies sind Worte, die den Zusammenhang auflösen. Sie wirken eher wie eine Schlussfolgerung aus der Ansage des kommenden Tages. Aber was wollen sie, an wen sind diese Worte gerichtet? Sind es Worte, die an Gott gerichtet sind und um Verschonung bitten? Es könnte auch sein: Die Worte erinnern Gott daran, Wenn du deine Herrlichkeit enthüllst, die dir eigen ist, dann ist es vorbei mit uns Menschen. Dann wäre es ein Akt der Gnade, dass Gott sich auch in seinem Offenbaren immer zugleich verhüllt. Gott pur halten wir nicht aus. 

 Es können auch Worte sein, die angesichts des kommenden Gerichtes zur Abkehr von denen rufen, die doch nicht helfen können. Worte, die hinweisen, dass am Ende nur Gott zählen wird. Sein Erbarmen.

Zum Weiterdenken

            Schwer verständlich? Es hat vierzig Jahre gedauert, bis man in Deutschland den Tag des Zusammenbruchs des 3. Reiches, der Kapitulation am 8. Mai 45 als einen Tag der Befreiung verstehen und benennen konnte.Es sind langwierige Lernprozesse, oft genug gegen den inneren Widerstand: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ (Weissagung, den Cree-Indianern zugeschrieben, A. Obomsawin 1972) Manchmal lernen Menschen nur durch tiefe Schmerzen und Untergänge hindurch.           

Es ist ein zeitloser Satz: sie beten an ihrer Hände Werk, das ihre Finger gemacht haben. Er trifft zu auf den Götzendienst unserer Zeit.Wir feiern Menschenwerk – allabendlich in den Nachrichten. Die Fortschritte in der Weltraumfahrt, die Wolkenkrater, nicht nur in Dubai, auch in der Frankfurter Skyline. Wunderwerke der Technik allenthalben, Fortschritt auf allen Ebenen. Alles wird schneller, schöner, bunter, schriller. Was macht es da schon, dass die natürlichen Ressourcen des Lebens – Boden, Wasser, Luft – immer mehr verbraucht und in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Fortschritt hat halt seinen Preis.

            Die Frage allerdings stellt sich zunehmend und dringlich, ob die Anbetung der Werke unserer Hände nicht längst dabei ist, uns auf die Füße zu fallen. Als Klimawandel, als Dürreperioden, als Unwetter, als Hochwasser auch in so harmlos-beschaulichen Regionen wie den Ausläufern des Vogelsberges. Erfolgreich wurden Bäche begradigt und so der Weg für Überschwemmungen frei gemacht. Es ist immer mehr sichtbar, dass wir als Gesellschaft zu kurzsichtig und kurzfristig unterwegs sind. Kurzatmig, weil wir alles schnell und sofort haben wollen. Das Entscheidungen Zeit brauchen, bedacht sein wollen auch auf ihre Folgen hin, passt nicht in das Motto „Zeit ist Geld.“ Bedächtig klingt nach Schimpfwort. Wir sind als Gesellschaft eilig und überhitzt. Wenn der Prophet vom Tag des Herrn als einem Tag des Gerichts spricht, dann ist doch schlicht davon die Rede, dass unser kollektiver und globaler Größenwahn uns einholt und wir die Rechnung offensichtlich nicht begleichen können. Wir haben nicht im Griff, was wir ans Werk unserer Hände losgetreten haben. Der Zauberlehrling lässt grüßen: „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ (J.W. v. Goethe, 1797)

Heiliger Gott, es ist verführerisch – auf Erfolg zu setzen, auf Sicherheit, auf die eigene Kraft und die Verbindung zu denen, die uns Erfolg und Sicherheit versprechen. Es ist verführerisch, der Angst vor der Zukunft mit guten Prognosen und Gewinnchancen entgegenzutreten. Das kann doch nicht falsch sein, hören wir von allen Seiten.

Du aber, unser Gott, willst uns herauslösen aus dieser Sorge, mit der wir uns die Zukunft sichern wollen. Du willst uns helfen, dass wir uns mit aller Zukunftsangst in Dir bergen können. Dazu stärke du unseren kleinen Glauben. Amen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert