Hesekiel 11, 14 – 25
14 Da geschah des HERRN Wort zu mir: 15 Du Menschenkind, die Leute, die noch in Jerusalem wohnen, sagen von deinen Brüdern und Verwandten und dem ganzen Haus Israel: Sie sind ferne vom HERRN, aber uns ist das Land zum Eigentum gegeben. 16 Darum sage: So spricht Gott der HERR: Ja, ich habe sie fern weg unter die Heiden vertrieben und in die Länder zerstreut und bin ihnen nur ein wenig zum Heiligtum geworden in den Ländern, in die sie gekommen sind.
Hesekiel ist im Zweistromland, tausende Kilometer weg von Jerusalem. Da geschieht ein neues Wort des HERRN an ihn. Eines, das über das Gerede in der Heimat informiert, das dort umgeht. Eines auch, das ihn zusammenschließt mit der Exilsgemeinde. Die, unter denen er jetzt lebt, sind deine Brüdern und Verwandten. Das Wort an Hesekiel hält fest, nach wie vor: Haus Israel. Wie anders dagegen denken die, die dort zurück geblieben sind, die der Deportation entgangen sind. Sie bilden sich ihr geistliches Urteil über die Exilierten. Sie sind ferne vom HERRN. Außer Reichweite. Nicht mehr unter dem Schutz und in der Gnade Gottes. In letzter Konsequenz: Nicht mehr Haus Israel.
„Nach dieser landläufigen Theorie ist man Gott nur im Israelland verbunden. Wer „ferne“ ist, wen sogar „Jahwe“ selbst in die Ferne geführt hat, der hat keinen Anspruch mehr auf eine Gemeinschaft mit Gott.“ (G. Maier, Der Prophet Hesekiel, 1. Teil, Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal 1998, S. 163)Aus dem Nest gefallen, aus den Augen, aus dem Sinn. Es ist hart, aber die Sicht dieser Worte: „Die Exilierten spielen für Jahwe keine Rolle mehr.“ (K.F. Pohlmann, Der Prophet Hesekiel, Kap. 1 – 19, ATD 22,1, Göttingen 1996, S. 166 ) Man wird wohl auch nicht zu weit gehen, wenn man hinter diesem Urteil fern weg geführt vermutet: Ihre Schuld hat sie eingeholt. Sie ernten, was sie gesät haben.
Ganz anders dagegen der Blick auf sie selbst – in Jerusalem, im Land: aber uns ist das Land zum Eigentum gegeben. Was meldet sich da zu Wort? Hochmut? Selbstgerechtigkeit? Wir sind noch einmal davon gekommen – weil: wir sind die Guten. Es ist eine enge Sicht, die sich von alters her nährt: sie greift zurück darauf, dass das Land Israel das Gott gegebene Land ist. Und das die, die das Land erhalten, das wahre Israel sind. Die ganze Landnahme-Tradition, wie sie sich im Josua-Buch findet, nährt diese Sicht. Das Land ist eines der Heilsgüter Gottes und Zeichen der bleibenden Zustimmung Gottes. Wenn man so will: Bestätigung Israels. Bis in die Tage heute ist dieses Denken in den Aktionen israelischer Siedler im Westjordan-Land virulent.
Die unbewusste Kehrseite dieses Denkens: Gott wird darauf reduziert, dass er doch nur ein Lokal-Gott ist, gebunden an das Land. Die Selbstbindung Gottes wird so zur Selbstbeschränkung. Wer Gott an irgendwelche heiligen Orte bindet, ob Tempel, Steine, Flüsse, Kraftorte, auch Zeiten, der glaubt an einen beschränkten Gott. „Gottes neuer Anfang“ weiterlesen