Lukas 12, 1 – 12
1 Unterdessen kamen einige tausend Menschen zusammen, sodass sie sich untereinander traten. Da fing er an und sagte zuerst zu seinen Jüngern: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das ist die Heuchelei.
Merkwürdig: Obwohl Jesus so schroff reden kann, wie es die vorigen Abschnitte zeigen, kommen die Leute in großen Haufen zusammen. Einige tausend Menschen, die sich um ihn drängeln. Chaotische Szenen werden hier signalisiert: sodass sie sich untereinander traten. Jesus hat offensichtlich kein Interesse an einer wohl geordneten Bewegung. Wie es überhaupt seine Intention nicht zu sein scheint, eine Bewegung auszulösen.
Seine Aufmerksamkeit ist anders ausgerichtet, das zeigt die Mahnung an die Jünger. Das ist ja weniger eine Warnung vor den Pharisäern als mehr der Hinweis: Achtet darauf, dass ihr nicht in die gleichen Verhaltensmuster verfallt. Ausdrücklich werden diese Worte zuerst, πρῶτον, vor allem anderen an die Jünger gerichtet. Es ist so leicht, in einen Zwiespalt zwischen Innen und Außen, zwischen Fassade und Inhalt zu geraten. Das Achten auf das eigene Bild, das Image, ist nicht erst in der modernen Gesellschaft ein übergroßes Thema – es scheint mehr ein Menschheits-Thema zu sein. Darum besteht Ansteckungsgefahr – hier plastisch ausgedrückt durch das Wort Sauerteig.
Es ist ein verhängnisvolles Abfall-Produkt dieser Worte. Sie haben zu einer Gleichsetzung von Pharisäer-Sein und Heuchelei geführt. Umgangssprachlich ist Pharisäer ein anderes Wort für Heuchler. Das hat manchem Antijudaismus und Antisemitismus Vorschub geleistet. Gemeint aber ist der Zwiespalt zwischen Worten und Taten, zwischen Fassade und Innerem, zwischen schönem Schein und fader Wirklichkeit. Das ist aber gewiss kein exklusives Problem der Pharisäer von damals.
Hilfreich für ein besseres Verstehen ist auch, sich klarzumachen: Heuchelei, ὑπόκρισις, ist kein moralsicher Defekt, auch nicht einfach nur Schauspielerei, Vorspiegeln falscher Tatsachen. „Im Evangelium hat der Begriff eine radikalere Bedeutung: es ist die Deformation des Urteilsvermögens, die schwerer wiegt als ein Fehler im Glaubensverständnis oder eine moralische Abirrung.“ (F. Bovon, EKK III/2, Das Evangelium nach Lukas, Lukas 9,51 – 14,35, Neukirchen 1996, S.249) Heuchelei führt zur Verwechselung des Wesentlichen mit dem Unwesentlichen. Zum Rückzug auf Glaubenssätze, die dem Leben nicht mehr gerecht werden. „Neutralität – untersagt“ weiterlesen