Jeremia 38, 14 – 28
14 Und der König Zedekia sandte hin und ließ den Propheten Jeremia zu sich holen unter den dritten Eingang am Hause des HERRN. Und der König sprach zu Jeremia: Ich will dich etwas fragen; verbirg mir nichts! 15 Jeremia sprach zu Zedekia: Sage ich dir etwas, so tötest du mich doch; gebe ich dir aber einen Rat, so gehorchst du mir nicht. 16 Da schwor der König Zedekia dem Jeremia heimlich und sprach: So wahr der HERR lebt, der uns dies Leben gegeben hat: Ich will dich nicht töten noch den Männern in die Hände geben, die dir nach dem Leben trachten.
Wieder sucht Zedekia den Kontakt zu dem Propheten. Wieder heimlich. Wenn man so will: am Hintereingang. „Offenbar fühlt sich der König in seinem eigenen Schloss nicht mehr sicher, dass er, um unbeobachtet zu sein, den Jeremia an den dritten Eingang des Tempels bestellt, wo für die Unterredung wohl ein besonderer Raum zur Verfügung stand.“ (A.Weiser, Das Buch Jeremia, Kap. 25,15 – 52,34, ATD 21, Göttingen 1966, S.340)
Und wieder die Bitte um ein Wort. Doch nicht nur einen Rat des Propheten. Ratgeber hat Zedekia immer noch genug. Was er sucht, ist ein Wort Gottes. Spruch Jahwes.
Zedekia – der König. Jeremia – der verfolgte Prophet. Wer ist hier der Starke? Wer ist hier der Abhängige? Jeremia jedenfalls macht sich über die Wankelmütigkeit des Zedekia nichts vor. Er weiß, dass dieser König Opfer seiner Stimmungen, seiner Ängste, seiner Ratgeber ist. Er weiß, dass seine Worte wie in den Wind gesprochen sein werden. Und dennoch lässt er sich rufen und fragen und steht Rede und Antwort.
Das ist ein Lehrbeispiel für Geduld, für das lange Mitgehen, das den anderen nicht fallen lässt, obwohl es seine Schwäche überdeutlich sieht. Es ist leicht, bei klaren Menschen auszuhalten. Es ist unendlich schwer, bei Menschen zu bleiben und ihnen Solidarität zu zeigen, die heute so und morgen anders sind, die sich selbst im Weg stehen und die andere womöglich mitreißen in den eigenen Untergang. Wo ist die Grenze solcher Solidarität? Dieser Frage darf niemand, auch um seiner selbst willen, ausweichen.
17 Und Jeremia sprach zu Zedekia: So spricht der HERR, der Gott Zebaoth, der Gott Israels: Wirst du hinausgehen zu den Obersten des Königs von Babel, so sollst du am Leben bleiben und diese Stadt soll nicht verbrannt werden, sondern du und dein Haus sollen am Leben bleiben; 18 wirst du aber nicht hinausgehen zu den Obersten des Königs von Babel, so wird diese Stadt den Chaldäern in die Hände gegeben und sie werden sie mit Feuer verbrennen, und auch du wirst ihren Händen nicht entrinnen.
Übergabe auf Gedeih und Verderben. Bedingungslose Kapitulation. Das ist das Wort Gottes an Zedekia. Dass ist eben nicht nur der lebenskluge und politisch alternativlose Rat des Jeremia. Es ist das Wort Gottes. „Der Glaube an Gott würde hier zugleich eine Unterwerfung unter den König von Babel mit sich bringen.“(D. Schneider, Der Prophet Jeremia, Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal 1977, S.310) Ich würde lieber sagen: „Das Vertrauen auf Gott.“ – weil es die konkrete Situation trifft. Glaube an Gott ist in meinen Ohren ein wenig allerweltsmäßig.
Es ist das Wort, das tausendfach überhört worden ist – nicht nur von Zedekia. Immer wieder ist der Kampf bis zum letzten Atemzug heroisiert worden. Die Toten von Sparta an der Meer-Enge der Thermopylen, die Toten auf Massada, die Toten aus der Rolands-Schlacht, die Toten bei Langemarck und Verdun, die Toten in Stalingrad – sie sind der Stoff für Heldenlieder. Wer sich auf Gedeih und Verderben ergibt, der wird nicht besungen. Wer überläuft und sich ergibt, der geht als Feigling in die Geschichte ein. „Auf Gedeih und Verderben – sich ergeben“ weiterlesen