Johannes 15, 1 – 8
Nach diesem Satz: Steht auf und lasst uns von hier weggehen. könnte gut der Weg der Passion beginnen. Nicht so bei Johannes. Er fügt hier – vor seinem „Bericht über die Passion – drei lange Kapitel ein mit Reden Jesu und einem Gebet Jesu. Den „Abschiedsreden“ und dem „Hohenpriesterlichen Gebet“ So die Bezeichnungen dieser Passagen,die sich auch in Bibelausgaben finden.
Warum? Kann man fragen. Hat der Schreiber nicht aufgepasst? Wer so denkt, unterstellt ihm doch ein Stück Naivität oder, wenn nicht sogar Dummheit. Aber Johannes ist bestimmt nicht dumm oder naiv. Er weiß, was er tut, auch mit diesem Einschub. Er hält den Gang des Geschehens auf mit diesen Reden. Darin, so denke ich, zeigt er: Was folgen wird, ist nicht unglückliches Schicksal, sondern der Weg, den Jesus wählt in Gehorsam und Liebe – Gehorsam gegen den Vater, Liebe zu uns.
Und: es sind eben Abschiedsreden, nicht nur letzte Worte. Die werden noch eindrücklich genug am Kreuz folgen. Hier aber wird noch einmal zusammen gefasst, was den Weg Jesu ausmacht und wer er ist. Jesus ist das Thema dieser Worte, nicht nur seine Funktion. Er selbst.
1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
Folgerichtig fängt Jesus an. εγώ ειμι. Ich bin. Und dann folgt eben: der wahre Weinstock. Es ist das letzte der Ich-bin-Worte. Das erste war das Wort: Ich bin das Brot des Lebens (6,35; 6,48) Am Anfang dieser Reihe von sieben Ich-bin-Worten das Brot, am Ende der Weinstock.Man muss nicht sonderlich Phantasie-begabt sein, um hier einen Hinweis auf Brot und Wein, die Gaben des Abendmahles zu lesen.
Der wahre Weinstock – das ist Hinweis auf andere Weinstöcke, die nicht die wahren sind. „Der Weinstock galt gerade zu als der Lebensbaum“ (G. Voigt, aaO.; S. 226) Es ist die Suche nach dem Leben, nach der Freude, die sich mit der Frucht des Weinstocks verbindet. Diese Suche läuft ins Leere, wenn sie nicht in Jesus erfüllt wird.
In der Sakristei der Stadtkirche Schlitz hängt eine Kasel aus dem 13. Jahrhundert. Auf ihr ist das Kreuz als Weinstock, als Lebensbaum abgebildet. Der Lebensbaum, seit der Vertreibung aus dem Paradies unzugänglich geworden – „Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, das er nur nicht ausstrecken Gott der Herr aus dem Garten Eden… Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammende, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zum Baum des Lebens.“ (1. Mose 3,22 – 23a.24) – hier ist er wieder zugänglich.
Der über diesen Weinstock wacht, ist der Vater als der Weingärtner. Einmal mehr unterstreicht Jesus die innige, ja unauflösliche Verbindung zwischen sich und dem Vater. Dass er der wahre Weinstock ist, hängt eben daran, dass der Vater der Weingärtner ist. Ohne sein Handeln an dem Sohn würde der sohn nicht Frucht bringen. „Bleiben“ weiterlesen