Lukas 23, 26 – 31
26 Und als sie ihn abführten, ergriffen sie einen Mann, Simon von Kyrene, der vom Feld kam, und legten das Kreuz auf ihn, dass er’s Jesus nachtrüge.
Es ist eine Unbestimmtheit in den Worten: Wer sind sie, die ihn abführten? Nach dem Fortgang der Geschichte müssten es die Römer sein. Nach den Worten zuvor eher die Juden, deren Willen Pilatus Jesus übergeben hat. Wählt Lukas diese Unbestimmheit, um das unheilvolle Zusammenspiel anzudeuten?
Auf dem Weg zum Hinrichtungsort ergreifen sie – diesmal müssen es wohl die römischen Soldaten sein, die zu so einer Maßnahme das Recht haben – einen bis dahin Unbeteiligten – Simon von Kyrene. Er kommt vom Feld oder vom Land – beides ist möglich. Er wird in die Geschichte Jesu hineingezogen. Er wird – das deutet die Formulierung des Lukas an, zum „Prototyp“ des Jüngers, indem er Jesus sein Kreuz nach-trägt.
Das ist ja mehrfach von Jesus als das Kennzeichen der Jüngerschaft benannt worden. „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.“(9,23) – „Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“ (14,27) Hier also zeigt Lukas den Lesern den ersten Kreuzträger – nicht aus freier Entscheidung, sondern genötigt von außen, ungefragt, schicksalhaft. Es ist wie eine Korrektur möglicher – auch frühchristlicher – Missverständnisse: Zum Kreuztragen kann und darf man sich nicht drängen – es wird einem auferlegt, und dann muss man es tragen.
27 Es folgte ihm aber eine große Volksmenge und Frauen, die klagten und beweinten ihn.
Wieder steht da ein Wort, das bei Lukas inhaltlich stark geprägt ist: Es folgte ihm aber eine große Volksmenge und Frauen. ακολουθώ ist das Wort, um Nachfolge zu bezeichnen. Darum geht es in der Nachfolge – in der Nähe Jesu zu sein, seinen Weg mit zugehen, in seine Spur zu treten. Es ist zum Staunen: Das sind die gleichen Leute, die eben noch geschrien hatten: Weg mit ihm! Ans Kreuz! (23, 18.22) Jedenfalls – sie gehen den Weg Jesu nach. Sie sehen in ihm das Opfer der Gewalt, wohl vor allem der verhassten römischen Gewalt.
28 Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder. 29 Denn siehe, es wird die Zeit kommen, in der man sagen wird: Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben, und die Brüste, die nicht genährt haben! 30 Dann werden sie anfangen zu sagen zu den Bergen: Fallt über uns!, und zu den Hügeln: Bedeckt uns!
Jesus wendet sich um. Er bricht sein Schweigen. Er sieht nicht auf das, was vor ihm liegt, auf seinen Tod. Er sieht auf das, was auf die Stadt Jerusalem und die Menschen zukommt. Sie bemitleiden ihn. Er aber will nicht ihr Mitleid für sich. Er will ihre Umkehr, um ihres Lebens und der Stadt willen.
Es ist wie eine erneute Klage über die Stadt Jerusalem. „Mit dem leidvollen Blick auf den Fall Jerusalems, mit der die Stadt betreten hatte, verlässt er sie auch.“ ( A. Schlatter, Das Evangelium des Lukas, S. 393) Wenn Jesus sie zum Weinen auffordert – über sich selbst, ihre Kinder und die Stadt, so könnte das der Anfang der Weisheit sein, der Anfang der Gottesfurcht. (Sprüche 1, 7) Es könnte ein fruchtbares Weinen sein, nicht rückwärtsgewandt, sondern zukunftsoffen. Aus ihren Weinen könnte Neues entstehen, ein neuer Gehorsam gegen Gott, neue Frucht. „.Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“ (Psalm 126, 6)
Zugleich sind es ja erschreckende Worte. Wie ausweglos muss eine Lage sein, dass einer die glücklich preis, selig, die kinderlos sind – das schlimmste Schicksal, das eine Frau in Israel treffen konnte – und doch harmlos gegenüber diesen Schrecken! Die Klage Hiobs klingt hier an: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! Jener Tag soll finster sein und Gott droben frage nicht nach ihm! Kein Glanz soll über ihm scheinen!… Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? Warum hat man mich auf den Schoß genommen? Warum bin ich an den Brüsten gesäugt? Dann läge ich da und wäre still, dann schliefe ich und hätte Ruhe“ (Hiob 3, 3.11 -13) Es ist nachtschwarze Verzweiflung, die sich hier zur Wort meldet und die Jesus in seinem Wort über Jerusalem sieht.
Und in seiner prophetischen Sicht nimmt er das Gerichtswort des Hosea auf: „Und sie werden sagen: Ihr Berge, bedeckt uns!, und: Ihr Hügel, fallt über uns! (Hosea 10, 8) Bei Hosea steht dieses Wort im Zusammenhang des Gerichtes Gottes über das Königtum und den Götzendienst. Und ist es nicht beides – politischer Machtanspruch und verweigerter Glaube, der Jerusalems Schicksal im Jahr 70 n. Chr. mit sich bringen wird?
31 Denn wenn man das tut am grünen Holz, was wird am dürren werden?
Es ist ein Rätselwort. Ist Jesus das grüne Holz – mit seinem Glauben, seinem Gehorsam gegen Gott? Und die, die ihm jetzt auf dem Weg nachfolgen, aber keine wirkliche Umkehr zeigen – sind sie das dürre Holz? Unabhängig, wie man das im Einzelnen auflösen kann – der Sinn scheint <mir> klar: Wenn er, der Schuldlose, schon in das Gericht Gottes geht, wie soll es erst werden an denen, die Schuld mit sich tragen. Es ist ein Ruf zur Umkehr, zur wirklichen Nachfolge, Jesus will keine Leute, die ihn bemitleiden. Er will Menschen, die aus seiner Hingabe leben.
Jesus so nahe wie Simon von Kyrene bin ich Dir nicht So nahe wie die Frauen die um Dich weinen bin ich Dir nicht
Ich schaue auf Dich weit weg erschrocken über diesen Weg Aber Du willst mein Erschrecken so wenig wie das Mitleid der Frauen
Du willst dass ich mein Leben Dir nachlebe mich mit Dir verbinden lasse in allem was mir begegnet im Glück und im Schmerz
Du willst dass ich Dir das Kreuz nachtrage das mir auferlegt wird an meinem Ort auf meinem Weg. Amen